Die Themen der deutschen Gießereibranche machen nicht halt an der Staatsgrenze. Das zeigt sich nicht nur an der großen Schnittmenge an Vorträgen aus dem deutschem Raum, sondern auch bei den spezifischen Österreich-Themen. So war Schladming 2023 eine spannende Mischung aus Fachvorträgen und Überblicksreferaten.
VON MARTIN VOGT
Zugegeben ist es nicht der allernächste Weg vom Rheinland zur Österreichischen Gießereitagung anzureisen. Bei einer Autofahrt lässt man Rheinland und Hessen hinter sich, die lieblichen Weinhänge Frankens, die Hopfenfelder der hügeligen Holledau ... ehe irgendwann schemenhaft die Alpen zu erkennen sind. Ein gefahrlos zu bewunderndes Panorama, weil sich die A99 um München herum sowie die A8 nach Salzburg ohnehin gerne stauen. Weitere zwei Stunden später tauchen dann alle Besucher der 65. Österreichischen Gießereitagung in eine sonderbare Zwischenwelt ein, die der Jahreszeit geschuldet ist. Im Frühjahr ist nicht mehr Ski-, aber auch noch nicht Bergsaison (die Tagung war Ende April und hatte es knapp nicht mehr in die GIESSEREI 5 geschafft).
Was für die Ausrichtung einer Tagung paradiesisch ist: Viele Hotels, die jetzt durchaus dankbar für zahlende Gäste sind, und ein Kongress-Zentrum modernen Zuschnitts hatten die Wahl der Veranstalter auf den Skiort in der Steiermark fallen lassen. Corona-bedingt hat das erst 2023 geklappt.
Und wähnt man sich nach dem Durchqueren so vieler Kulturzonen bei der Anreise auch in einer anderen Welt, so lehrten die zwei Tage deutlich: Es gibt zumindest im deutschsprachigen Raum exakt eine Gießerei-Welt, denn die Herausforderungen machen nicht an der Staatsgrenze Halt. Beeindruckend deutlich war bereits der Eröffnungsvortrag. Martin Graf, Finanzvorstand des regionalen Versorgers „Energie Steiermark“, sprach über die „Aktuelle Situation auf den Energiemärkten“, beschrieb die „Winterstromlücke“, die die Erneuerbaren Wind und Solar an sich haben, nannte die Investitionssumme von einer Milliarde Euro in Netze und den Ausbau der Erneuerbaren und erteilte Spekulationen auf alsbald sinkende Strompreise eine Absage. „50 Euro pro Megawattstunde sehe ich nicht – eher 150 Euro“, so der Vorstand und sprach noch ein spezifisches Thema Österreichs an: „Der Ausbau der Wasserkraft stößt an Grenzen. Wir haben ja nur eine Donau, eine Drau, eine Enns“, so Graf. Und der Klimawandel macht offensichtlich auch vor Österreich nicht halt. „Die Trockenheit führt zu einem Rückgang bei der Wasserkraft“.
Zusammengefasst: Strom bleibt teuer, es gibt zu wenig regenerativ erzeugten und im Winter schon überhaupt: Was Graf also an Botschaften in Schladming vortrug, hätte so auch von einem Manager eines deutschen Versorgers kommen können. Interessant übrigens auch noch eine weitere Zahl, die später am ersten Tag von Axel Sonman, einem Stahlspezialisten aus Leoben, kam: Rund 70 Terawattstunden Strom produziere Österreich jährlich – würde man nur die österreichische Stahlindustrie komplett auf Strom umstellen würden bereits 38 Terawattstunden von ihr verbraucht – das Problem ist evident.
Auch explizit branchentypische Themen bot Schladming zur Genüge. So steuerte der BDG gleich zwei Themen bei – die bereits im vergangenen Jahr auf dem deutschen Gießereitag in Münster vorgestellte Studie Guss 2035 ist nach dem Vortrag von Dr. Klaus Schmitz-Kohnen jetzt auch dem Schladming-Publikum bekannt. Und Manuel Bosse referierte über Dekarbonisierung und Transformationspfade im Rahmen des Projekts „InnoGuss“.
Überhaupt bot die 65. Österreichische Gießereitagung eine breite Mischung der Themen – Druckguss, KI, Circular Economy, Entsandung, Planung, Digitalisierung, um nur einige Stichworte zu nennen.
Einige der Vorträge haben wir als Fachbeiträge bereits in der GIESSEREI abgedruckt – etwa die spannende „Digitalisierung des gesamten Gießerei-Prozesses – von der Strategie zur Anwendung“ von den Siempelkamp-Geschäftsführern Georg Geier und Dirk Howe. Andere wollen wir im zweiten Halbjahr in der GIESSEREI veröffentlichen – etwa die „Erfahrungen mit thermisch härtenden anorganischen Formstoffbindersystemen“, die Hartmut Polzien vorstellte.
Sehr spannend war auch der Vortrag von Werner Fragner (AMAG Austria Metall AG) mit dem Titel „Recyclinggusslegierung mit niedrigem CO2-Fußabdruck für Sicherheitsbauteile“, wobei sich dahinter der Guss von Leichtmetallfelgen für Audi verbirgt. Spannend war das Thema aus zwei Gründen: Erstens weil es eine gewisse Flexibilität signalisiert, auch aus Sekundärmaterial belastbare Bauteile zu produzieren, und zweitens weil OEM, das ist kein Geheimnis, gemeinhin zurückhaltend mit der Freigabe von aktuellen Themen sind.
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