Stihl Magnesium Druckguss geht gestärkt aus den Krisen der letzten Zeit hervor – daran konnten weder Corona noch das Hochwasser im nahen Prüm etwas ändern. Neben einem steigenden Bedarf an Stihl-Produkten profitiert das Unternehmen 50 Jahre nach seinem Richtfest von der hohen Nachfrage nach leichten Motoren für E-Bikes. Zugleich könnten die volatilen Magnesiumlieferketten das gut gehende Geschäft mit Magnesiumdruckguss mittelfristig gefährden.
In Weinsheim und der Region rund um das nahe gelegene Eifeler Städtchen Prüm brummt das Geschäft, wohin man blickt: ob beim Türenhersteller Prüm Türenwerke, dem Molkereianlagenbauer Arla oder dem Tesla-Automatisierer Tesla Automation, vormals Grohmann Engineering. Die Unternehmen wachsen, investieren, bauen aus und wecken die ehemals strukturschwache Region aus dem pandemiebedingten Dornröschenschlaf der vergangenen anderthalb Jahre.
Zweistellige Wachstumszahlen
Während spezielle Fachkräfte in der Region nun allmählich rar werden, hat ein Unternehmen einen besonderen Wachstumsschub hinter sich: Stihl Magnesium Druckguss, die größte Warmkammerdruckgießerei Deutschlands und mutmaßlich auch Europas, die in diesem Jahr zudem ihren 50. Geburtstag feiert. Hier wuchs die Mitarbeiterzahl allein zwischen dem Weihnachtsfest 2020 und heute um über 100 Mitarbeiter auf jetzt 924 Beschäftigte.
Muttergesellschaft ist die Waiblinger Stihl-Gruppe mit ihren weltweit knapp 20 000 Beschäftigten. Das Familienunternehmen hat in den ersten acht Monaten des Jahres ein beachtliches Wachstum von 11,7 Prozent auf ca. 3,5 Milliarden Euro Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erwirtschaftet. Stihl Magnesium Druckguss, der Maschinenraum der Gruppe im Komponentenbau, dürfte einen wichtigen Anteil zu den Traumzahlen beigesteuert haben.
Die Maschinen in Weinsheim sind ausgelastet und der Maschinenpark wächst, weil Stihl-Produkte seit einiger Zeit weltweit mehr denn je gefragt sind. Dahinter stehen die gute Vegetation der vergangenen Jahre, die immer auch mit einem Geschäftswachstum für den Hersteller von Motorgeräten für Garten- und Landschaftsbau sowie Forst- und Bauwirtschaft einhergeht, aber auch Zuwächse durch die Coronapandemie, in der mancher Heimwerker und Gartenbauer zur Höchstform aufgelaufen ist.
Bedeutender Grund für den massiven Zuwachs in Weinsheim ist jedoch auch der stetig wachsende Kundengussbereich für E-Bike-Komponenten aus Magnesium-Druckguss, sprich Getriebe- und Motorgehäuse für E-Antriebe. Der Trend zur E-Mobilität sowie der Anstieg von Radsportaktivitäten in der Coronazeit bescherte dem Bereich Rekordzuwächse, die bis 2030 zweistellig ausfallen könnten – Jahr für Jahr.
Millioneninvestition für Kundenguss
„Das ist ein bemerkenswerter Markt“, frohlockt Hartmut Fischer, Geschäftsführer von Stihl Magnesium Druckguss. 17 Millionen Euro wurden in das zukunftsträchtige Geschäft investiert. Ein weiterer Ausbau ist wahrscheinlich. Damit machen die E-Bike-Komponenten für einen großen Stuttgarter Automobil- und inzwischen auch E-Bike-Zulieferer nun bereits mehr als die Hälfte des Kundengusses aus – Tendenz steigend. Benchmark beim E-Bike ist der 3-Kilo-Motor. „Und den kriegen Sie nur mit Magnesium hin“, meint Fischer. Heute entfallen 70 Prozent der Produktion auf Stihlprodukte und 30 Prozent auf den Kundenguss, der substanziell gewachsen ist.
Die Königsklasse im Warmkammerbereich
Im Werk selbst hat sich seit Fischers Amtsantritt 2015 viel getan. Die Zahl der Druckgießanlagen stieg von 20 auf bislang 26 – zwei weitere sind bestellt. Zudem wurde 2019 eine neue Produktionslogistik mit einem hochmodernen Warenregallager errichtet (>>>mehr hierzu hier). Mittlerweile setzt Fischer auf Maschinen mit bis zu 1000 Tonnen Schließkraft.
„Im Kaltkammerbereich ist die Tesla-Gigapresse mit 8000 Tonnen Schließkraft aktuell die Obergrenze. Im Warmkammerbereich sind 1000-Tonnen-Anlagen, von denen bei uns inzwischen zwei im Einsatz sind, die Königsklasse“, setzt Fischer die beiden Druckgießtechnologien in Relation. Vorteil: Je größer die Schließkraft, desto mehr Bauteile können pro Schuss gefertigt werden. In Weinsheim entstehen aus einer Ladung Magnesiumschmelze bis zu 16 Gussteile.
Zur hohen Effizienz der Fertigungsanlagen kommt der hohe Automatisierungsgrad:
In der 1000-Tonnen-Anlage nimmt ein Roboter innerhalb der eingezäunten Gießzellen Gussteiltrauben aus der Maschine, schreckt sie ab und trennt dann per Stanzpresse Angüsse und Grate ab. Gespeist wird die Anlage mit direkt an der Maschine eingeschmolzenen Magnesiummasseln. Der durchautomatisierte Prozess geht in der Praxis mit hydraulischem Zischen, dumpfen Schlägen der Entgratpresse und Dampfwolken beim Abschrecken der Gusstrauben einher. Arbeiter tauchen allenfalls einmal an den Kontrolldisplays auf oder rollen volle Bauteilgitterboxen aus der Gießhalle.
Verschiedenste Gussteile wie Kurbel- und Lüftergehäuse für Freischneider, Blasgeräte und Heckenscheren durchlaufen dann eine teils umfangreiche Nachbearbeitung per Strahlanlage oder Fünf-Achs-Bearbeitungszentrum. Neben der Belegschaft tun hier auch zahlreiche Roboter ihren Dienst, mitunter zwei je Bearbeitungszelle, um Arbeitsschritte parallel durchzuführen und Zeit zu sparen. Dabei wird auch moderne Visualisierungstechnik eingesetzt, damit die Blechkameraden die Bauteile selbstständig aus den Boxen nehmen und weiterverarbeiten können.
Autonome Fahrzeuge im Druckgusswerk
Beim Transport zu den Waschanlagen sowie zum Versand kommen auch fahrerlose Transportsysteme zum Einsatz. Willy heißt einer der drei kniehohen Fahrzeuge, die mit Gummiantennen und grünen Erkennungslampen durch die Gänge fahren – autonom gesteuert über W-LAN. Ist eine Box in der mechanischen Bearbeitung gefüllt, erhält der High-Tech-Rollwagen je nach freier Kapazität einen Transportauftrag, den er dann selbstständig ausführt. Willkommen in der Zukunft – wenngleich noch sehr viel Fantasie erforderlich ist, um in Willy einen frühen Vorläufer von R2D2 aus Star Wars zu sehen.
Willy und seine beiden Gefährten sollen jedoch nicht die Spitze des Eisbergs der Digitalisierung bei Stihl bleiben. Schon jetzt ist ein System im Werk in Betrieb, dass die Performance der Maschinen im Blick hat. „Zwei Bildschirme und ein Messgerät zeigen uns, wo die Prozesse stehen und wo wir gezielt eingreifen müssen, um keinen Ausschuss zu produzieren“, berichtet Fischer. Bedeutende Pflöcke bei der Digitalisierung soll auch das neue MES-System setzen, das ab kommendem Jahr die zahlreichen erhobenen Daten der Maschinen auswerten soll und bei erfolgreicher Implementierung an vielen Stihl-Standorten weltweit eingeführt wird. Die Qualitätsprüfung mittels Künstlicher Intelligenz ist angedacht, ebenso das Thema Predictive Maintenance. An Ideen und dem Willen diese umzusetzen, mangelt es nicht bei Stihl.
Magnesiumguss wirtschaftlich produzieren
Für eine wirtschaftliche Produktion zählt aber besonders der Prozess. Eine entscheidende Rolle spielt da die Zeit und hier bietet sich aufgrund kurzer Zykluszeiten besonders das Warmkammerdruckgießen an: Bei diesem Verfahren befindet sich die gesamte Dosiereinheit in der Schmelze. So sind zwar nur Werkstofftemperaturen von unter 700 Grad und tendenziell kleine Bauteile möglich, der Schmelzzulauf ist jedoch vergleichsweise kurz, was besonders schnelle Zyklen ermöglicht. Der geschlossene Kreislauf, durch den die 650 Grad heiße Magnesiumschmelze bis ins Werkzeug geschossen wird, bietet weitere Vorteile: Der weitgehende Sauerstoffausschluss verringert zum einen das Gefahrenpotenzial, das bei dem Leichtmetall mit seiner hohen Oxidationsneigung zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus entstehen so aber auch weniger Poren im Guss – ein bedeutendes Qualitätsmerkmal der Warmkammerdruckgießtechnik. Kaltkammermaschinen mit ihrem externen, längeren Schmelzzulauf eignen sich auch für größere Bauteile und Werkstoffe wie Aluminium, dessen Schmelzpunkt bei rund 750 Grad liegt.
Aktuell im Aufbau ist auch ein Fertigungsbereich für Aluminiumschwerkraftbauteile. Für die Standortentscheidung ausschlaggebend war die Wettbewerbsfähigkeit im Stihl-Fertigungsverbund. Gegenüber dem Druckguss bietet das Schwerkraftgießverfahren deutliche Vorteile, denn über Hinterschnitte und filigrane Auslegung sind leichtere und komplexere Konstruktionen möglich, wenngleich die Produktion angesichts langer Abkühlzeit deutlich teurer ist. Die Einführung der neuen Fertigungstechnologie in Weinsheim ist dem Familienunternehmen aber die Mühe wert, um den Betrieb seiner besonders leistungsfähigen Motorsägen sicherzustellen.
Stihl auf der EUROGUSS
Im Kernsegment Magnesiumdruckgießen gehen Fischer und die Entwickler in Weinsheim und Waiblingen an die Grenzen des technisch Machbaren heran, um Gewicht zu sparen, Qualitätsvorteile zu erzielen oder die Leistung zu erhöhen. Ein Highlight ihrer Arbeit war der federleichte Magnesiumkolben für die Stihl-Profimotorsäge MS 400, der beim Magnesiumdruckgusswettbewerb 2020 auf der EUROGUSS den 1. Platz gewinnen konnte. Weil der Kolben schwer zu gießen ist und höhere Temperaturen braucht, wird er allerdings mit der einzigen Kaltkammerdruckgießmaschine des Werks gefertigt. Die Motorsäge hat jetzt bei gleichem Gewicht wie das Vorgängermodell einen stärkeren Motor – ein wichtiges Entscheidungskriterium für Profis, wie z. B. Forstarbeiter.
Auch Anfang kommenden Jahres, wenn die EUROGUSS in Nürnberg ihre Tore als Präsenzmesse wieder öffnet, hofft Fischer wieder auf einen Erfolg beim Wettbewerb. Ins Rennen gegangen ist sein Unternehmen mit einem Bauteil für eine Akku-Motorsäge, das viele integrierte Funktionen aufweist und mit „zwei Nestern“ je Schuss produziert wird. Neben der Repräsentation seines Unternehmens wird der Manager, der zugleich Präsident des Verbands Deutscher Druckgießereien (VDD) ist, auf der europäischen Druckguss-Leitmesse aber auch zu drängenden Branchenthemen Stellung beziehen.
40 % Effizienzsteigerung bis 2030 geplant
Eines davon dürfte die Klimaneutralität sein, die Deutschland bis 2045 erreichen will. Neben den Megatrends Elektromobilität und Digitalisierung kommt damit eine weitere Herausforderung auf die energieintensive Gießerei-Branche zu. Stihl Magnesium Druckguss ist bereits klimaneutral in den Bereichen Scope I und II der Klimabilanz, wo es um eingesetzte Energie wie Strom, Gas, Öl, Heizöl, aber auch um den Fuhrpark von Unternehmen geht.
„Wir kaufen Grünstrom ein und kompensieren mit Zertifikaten nach dem Goldstandard“, beschreibt Fischer die Unternehmensstrategie. „Das kostet zwar viel Geld, wir machen das aber mit dem klaren Ziel, in den kommenden Jahren deutlich effizienter zu werden, denn es muss darum gehen, die Produkte möglichst nicht oder nur geringfügig teurer zu machen“, fasst Fischer die Diskrepanz zwischen den hohen Umweltzielen und wettbewerbsfähigem Wirtschaften in Worte. Um weitere 40 Prozent will der Druckgießer die Effizienz bis 2030 steigern. Ein ambitioniertes Ziel, zieht man in Betracht, dass herkömmliche Effizienzsteigerungen durch den Einsatz von LED-Beleuchtungen oder Wärmerückgewinnung bereits weitgehend ausgeschöpft sind.
Dass aktuell nahezu im Wochenrhythmus Branchenunternehmen ihre Klimaneutralität erklären, macht ihn skeptisch. Denn speziell bei der Klimaneutralität inklusive Scope III, zu der die Einsatzmaterialien für die Produktion gehören, muss ja z. B. beim Stahl das Erz und beim Aluminium das Bauxit in die Rechnung mit einbezogen werden. Lieferketten, bei denen es seiner Meinung nach bisher kaum möglich sein dürfte, den CO2-Fußabdruck auf null zu senken.
Klimaneutralität mit grünem Magnesium
Doch die Zeit drängt: Kunden wie Mercedes wollen bis 2037 klimaneutrale Produkte bekommen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist grünes Magnesium jedoch mehr Wunsch als Wirklichkeit. Das Leichtmetall gehört zwar zu den zehn häufigsten Elementen in der Erdkruste, geliefert wird es aber fast ausschließlich aus China. Stihl hat zwar vorausschauend die eigene Versorgung gesichert, andere magnesiumverarbeitende Betriebe haben derzeit aber große Schwierigkeiten mit der Lieferkette. Die Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVM) befürchtet gar eine Entwicklung ähnlich der Chipkrise.
Damit Unternehmen künftig auch bei Scope III eine saubere Klimabilanz haben, muss die ganze Lieferkette klimaneutral werden. Unternehmen beginnen bereits Druck auf ihre Lieferanten auszuüben. Eine Praxis, die bei einem Wirtschaftsgiganten wie China allerdings kaum Auswirkungen haben dürfte. „Wir brauchen grünes Magnesium“, betont Hartmut Fischer. Und in China sind auch bereits Anlagen im Aufbau, die Magnesium mit deutlich niedrigeren CO2-Emissionen herstellen. Dafür wird aus Salzseen Magnesiumchlorid gewonnen, wie es derzeit auch in Israel und den USA geschieht. Die Crux: Die Anlagen funktionieren noch nicht wirklich. Potenzial für die Nutzung von Magnesium mit geringerem CO2-Fußabdruck bietet den Weinsheimer Druckgießern allerdings das umfangreiche interne Recycling ohne große Transportwege.
Und wer bezahlt die Rechnung bei der Klimaneutralität? BDG-Präsident Clemens Küpper rechnet damit, dass die Kosten für Gießereien Jahr für Jahr 5-10 Prozent des Umsatzes betragen – und damit deutlich höher liegen als die durchschnittliche Gewinnmarge der Branche. „Das wird der Druckgießer allein nicht stemmen können“, ist Fischer überzeugt. Der Stihl-Manager hat für sein Unternehmen die erste Motorsäge mit Katalysator entwickelt und ist stolz darauf, dass entsprechende Emissionseinsparungen durch hohe dreistellige Millioneninvestitionen inzwischen ganz ohne Kat möglich sind. „Wir wollen nachhaltig arbeiten und CO2-Neutralität erreichen“, betont Fischer zum Abschied. Das sieht die Spitze des Familienunternehmens genauso, denn der Fahrplan in Richtung Klimaneutralität ist festgezurrt – schon im kommenden Jahr sollen alle Produktionsstätten weltweit umgestellt werden.
(Autor: Robert Piterek, Düsseldorf)
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