Im Oktober 1992 kaufte die Unternehmerfamilie Schmees die Stahlgießerei-Copitz im sächsischen Pirna. Mit einer betriebsinternen Feier wurde diesem 30-jährigen Jubiläum in Pirna gedacht. Heute entstehen am Standort bis zu sieben Tonnen schwere Werkstücke und international bekannte Kunstgussskulpturen.
EIN FEATURE VON CHRISTIAN THIEME, HAMMINKELN
Das Panoramafenster im Büro der Verwaltung bietet einen fantastischen Ausblick auf das Elbetal. Es ist ein sonniger Herbsttag mit klarer Sicht. Clemens Schmees hebt den Finger und zeigt Richtung Nordwesten. „Sehen Sie den Weinberg dort? Dort wächst der bekannte Wein aus Pillnitz“. Der Finger wandert weiter nach Westen. „Wenn Sie genau hinsehen, können Sie dort am Horizont noch die Dächer der Dresdener Altstadt erkennen“.
Es ist ein magischer Platz und als Besucher versteht man sofort, wie die Liebe zu diesem Ort entsteht. Pirna liegt an der südöstlichen Peripherie von Dresden und wird von der Elbe geteilt. Ringsherum sieht man Wälder und das Herbstlaub an den Bäumen versprüht einen warmen Farbakzent, der zum Erkunden der Wanderwege einlädt. Pirna ist ein Ort, an dem man gerne seine Zeit verbringt – das hat die Unternehmerfamilie früh gespürt. Auch Clemens Schmees nutzt gelegentlich die nahen Wälder, um beim Joggen Kraft zu tanken. Seit nunmehr 30 Jahren kennt der Rheinländer hier jeden Winkel. Die Unternehmerfamilie kaufte nach der Wende die damalige Stahlgießerei-Copitz und legte damit den Grundstein für das heutige Unternehmen.
Das Verwaltungsgebäude spiegelt sich in einer hochglanzpolierten Edelstahlvase auf dem Vorplatz und liegt direkt neben einer Kleingartenanlage. So richtig passt das moderne Ambiente nicht ins sonst beschauliche Stadtbild. Es spiegelt aber die Seele des Betriebs wider. Hier wird modern produziert und von Ostalgie ist nichts zu spüren. Clemens Schmees führt mich über das Gelände. Hinter der Gießerei verbirgt sich eine kleine Destillerie – ein Traum, den sich die Unternehmerfamilie im Laufe der Jahre erfüllt hat. An diesem Tag werden reife Quitten destilliert. Im Vorraum zeigt der Unternehmer in eine Ecke mit Regalen voller edler Tropfen. „Wir befinden uns hier im alten Verwaltungsgebäude und an dieser Stelle war lange Zeit mein Büro“.
Wir überqueren den Platz und stehen direkt vor dem ‚Brauhaus Pirna – Zum Giesser‘. Im Vorgarten befindet sich eine kleine Kapelle. „Hier findet jedes Jahr unsere Barbarafeier statt“, erzählt Schmees stolz und fügt hinzu: „Einen Tag vor unserem 30. Firmenjubiläum hat hier auch unsere Enkeltochter geheiratet“. Das Brauhaus wird von seiner Schwester und Mitgesellschafterin Susanne Schmees-Besgen geleitet. Das Brauhaus empfängt uns mit seiner gemütlichen Atmosphäre. In der Mitte des Saales steht ein kupferner Braukessel, alles wirkt modern, vermischt mit altem Charme. „Dies war das alte Sozialgebäude der Stahlgießerei-Copitz. Bei unserem ersten Besuch 1992 stank es hier fürchterlich und der Pförtner war damit beschäftigt, ein Dutzend Eimer zu leeren, da es überall reinregnete“. Für uns ist heute der Stammtisch reserviert.
Expansionsidee
Clemens Schmees blickt in den Saal: „Wenn wir über die Geschichte vom Standort Pirna sprechen, müssen wir mit der Erzählung in den 1980er-Jahren beginnen“. „In dem Jahrzehnt haben wir an unserem Standort in Langenfeld das Keramikformverfahren eingeführt und das Sandgussverfahren komplett auf Kaltharz umgestellt. Durch die neuen Fertigungsmöglichkeiten haben wir Pumpenhersteller als Neukunden gewonnen. Im Edelstahlguss konnten wir uns damals einen guten Namen machen, aber im normalen Stahlguss waren wir nicht wettbewerbsfähig. Ebenso war der Feinguss stark gefragt, den wir aber nicht herstellen konnten“. Es entstand die Idee, sich zu vergrößern und dann kam die Wende.
Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands wurden Clemens Schmees und sein Vater Dieter Schmees auf eine Feingießerei in Pirna aufmerksam, die zum Verkauf stand. Nach den ersten Gesprächen war aber schnell klar, dass die Unternehmerfamilie nicht zum Zug kommen würde. Über die Publikation „Alle Gießereien in Ostdeutschland“ – die damals vom Vorläufer des heutigen Bundesverbands der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG) herausgegeben wurde – fand die Unternehmerfamilie die Stahlgießerei-Copitz in Pirna. Dieter Schmees zögerte nicht lange und vereinbarte kurzerhand mit dem damaligen Treuhand-Geschäftsführer Jürgen Plattner einen Besichtigungstermin.
Ein Feuer vereinte die Unternehmen
Am 14. April 1992 betraten Vater und Sohn das erste Mal das Betriebsgelände an der Basteistraße. „Es regnete und außer dem Pförtner und Herrn Plattner waren alle 59 Mitarbeiter in Kurzarbeit“, erinnert sich Clemens Schmees. Das erste Gespräch fand im Büro des alten Verwaltungsgebäudes statt.
Der anschließende Rundgang zeigte eine recht moderne Gießereihalle. Geformt wurde in Bentonit-Wasserglas, auf einer Maschine und von Hand. Als Schmelzaggregate kamen zwei Lichtbogenöfen zum Einsatz. Die Hallenkräne waren mit Führerkabinen ausgestattet und die Modellhalle war ein baufälliges Fachwerkgebäude aus dem Jahr 1923. Beheizte Hallen gab es nicht und eine riesige Putzmaschine und zwei kleine Drehbänke rundeten das Gießereipaket ab. „Wir sind mit gemischten Gefühlen zurück nach Langenfeld gefahren“, so Schmees. „Es sah danach aus, dass wir den Standort nicht kaufen würden, aber der Kontakt mit Herrn Plattner bestand seit diesem Tag“.
Einige Zeit später klingelt an einem Sonntagmorgen in Langenfeld das Telefon zu Hause bei Familie Schmees. Am anderen Ende die Feuerwehr mit der Nachricht, dass die Gießerei brennt. „Wir hatten einen Brand in der Sandaufbereitungsanlage“, erinnert sich der Unternehmer. Nach der ersten Schadensanalyse war klar, dass der Betrieb zwei Wochen stillstehen würde – ein Desaster für den Betrieb, der gerade volle Auslastung hatte. Um den Schaden schneller zu beheben, fehlten Schlosser und Elektriker. Clemens Schmees griff zum Telefon, wählte die Nummer von Jürgen Plattner und eine Stunde später saßen sechs Arbeiter aus Pirna im Auto auf dem Weg Richtung Westen. Noch am selben Abend begann im Teamwork die Arbeit. Schmees: „Dienstagmorgen zwischen 3 und 4 Uhr kam dann die Meldung ‚Die Gießerei läuft wieder‘. Danach war klar, dass wir uns gut ergänzen“.
Zunächst wurde die Zusammenarbeit als Know-how-Transfer im Rheinland weiter ausgebaut. Über den Sommer produzierte man in zwei Schichten und im Juni und August fuhr das Unternehmen Rekordumsätze ein. Die intensive Zusammenarbeit verband beide Standorte immer mehr, bis am 13. Oktober 1992 der Kaufvertrag im heutigen Brauhaus unterzeichnet wurde. „Nur einen Tag später hatte hier jeder Mitarbeiter wieder Arbeit“, bringt es Clemens Schmees auf den Punkt.
Der Standort im Wandel
In der ersten Zeit lag der Fokus darauf, den Betrieb produktiv umzugestalten. Die ersten einfachen Modelle verlagerte man von Langenfeld nach Pirna und die Kräne, Gebäude und Dächer erhielten eine Sanierung. Ebenso wurde ein für Langenfeld bestellter Induktionsofen kurzerhand in Pirna aufgestellt. „Hier fehlte das Know-how Edelstahl herzustellen und das umfangreiche metallurgische Wissen mussten wir hier erst aufbauen. Die erste Charge hier am Induktionsofen habe ich noch selbst mitgemacht“, konstatiert Schmees.
„So schön wie sich das auch anhört: Diese Entscheidungen haben auch zu Unmut bei der Belegschaft im Rheinland geführt. Man hatte plötzlich Angst, dass die Produktion in Gänze nach Ostdeutschland verlagert würde. Wie man heute sieht, haben wir das gut gemeistert“. So wurde der Hauptgeschäftssitz des Unternehmens von Langenfeld nach Pirna verlagert und auch ein Teil der Unternehmerfamilie fühlt sich dort zu Hause.
1994 erhielt der Standort in Pirna als erste Gießerei in Ostdeutschland eine Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001 – ein weiterer wichtiger Meilenstein, der zu mehr hochwertigen Kunden führte. 1996 trat Johann Unglaub in das Unternehmen ein, der bis heute das Unternehmen leitet und mittlerweile auch Gesellschafter ist. 1997 erfolgte der erste Großauftrag über eine Million Deutsche Mark. Schmees erinnert sich: „Es waren zwölf Turbinengehäuse mit einem Gewicht von jeweils über 7 Tonnen, die nach China gingen“. „Wir hatten eine richtige Aufbruchstimmung hier in Pirna“, ergänzt Johann Unglaub, der zwischenzeitlich zum Gespräch hinzugestoßen ist.
„Damals haben wir zum einen vom Pumpengeschäft profitiert, aber auch von den Kraftwerken, die hier im Osten entstanden sind. Wir hatten uns schnell einen guten Ruf bei den Pumpenherstellern erarbeitet“. Über die Jahre war das Unternehmen weiter auf Erfolgskurs. Aus dem Einschichtbetrieb erwuchs ein Dreischichtbetrieb, die Qualitätsansprüche stiegen und das Werkstoff -Know-how bildete sich weiter aus. Heute sind die Standorte gut positioniert. In Pirna entstehen die großen Werkstücke bis etwa 7 Tonnen und in Langenfeld Teile bis zu einem Stückgewicht von einer Tonne.
Als die Kunst ins Unternehmen kam
Kurz nach der Jahrtausendwende entstand dann das erste Kunstwerk in Pirna. Niemand konnte sich damals vorstellen, dass daraus später eine Leidenschaft und ein neuer Geschäftszweig entstehen sollte. „Durch die Kunst haben wir mit dem 3-D-Druck angefangen – Erfahrungswerte, die wir auf den Industrieguss übertragen haben und von denen wir bis heute profitieren“, erklärt Unglaub.
„Einen weiteren Meilenstein haben wir 2010 erreicht, als wir Tony Cragg als Künstler gewinnen konnten. Wir haben dabei nicht nur Erfahrungen darin gesammelt, mit komplizierten Hinterschneidungen klarzukommen, sondern die Oberflächen auch auf Hochglanz zu polieren“, ergänzt Schmees. Viele Künstler folgten und weit über 200 Kunstwerke sind mittlerweile auf der ganzen Welt verteilt. Clemens Schmees verrät: „Das nächste Kunstwerk ist schon fertig und wird bald in Dallas, USA, aufgebaut“. 30 Jahre nach der Übernahme blickt das sächsische Unternehmen mit der rheinländischen Seele selbstbewusst nach vorne.
„Es ist bemerkenswert, was hier in den letzten dreißig Jahren passiert ist. Über 100 Jugendliche haben hier ihre Ausbildung absolviert und aktuell beschäftigen wir ca. 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 15 Nationen. Insgesamt haben wir etwa 34 Millionen Euro hier am Standort investiert“. Clemens Schmees lässt den Blick durch das Brauhaus schweifen: „Über die Jahre sind noch viele weitere Geschichten entstanden – aber die erzähle ich Ihnen ein anderes Mal“.
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