Jörg Höppner entschied sich erst mit Ende zwanzig für ein Bachelor-Studium an der TU Bergakademie Freiberg. Eine goldrichtige Entscheidung, wie er heute sagt: Seit Mitte 2005 arbeitet der Gießerei-Ingenieur nun bei der thüringischen Eisengießerei Meuselwitz Guss GmbH und ist Leiter der Operativen Fertigungsbetreuung. Die Anforderungen an seine Arbeit haben sich zwar stetig verändert – seine Begeisterung für das Gießen ist geblieben. Der Artikel ist der zweite Teil einer GIESSEREI-Serie über den Werdegang ehemaliger Gießereitechnik-Absolventen.
Wenn Jörg Höppner über die hiesige Gießerei, einen bevorstehenden Abguss oder über ein komplett neues Gussteil spricht, dann ist er kaum zu bremsen. Die Informationen sprudeln nur so aus ihm heraus und ein Blick in sein Gesicht genügt, dann ist klar: Höppner ist ein Gießereienthusiast durch und durch. Gießen ist sein Metier und auch nach 13 Jahren ist von der anfänglichen Leidenschaft zum flüssigen Metall nichts, aber auch rein gar nichts verloren gegangen. Und auch optisch habe er sich in dieser Zeit kaum verändert, scherzt der mittlerweile 45-Jährige.
Höppner ist Leiter der Operativen Fertigungsbetreuung und als solcher verantwortlich für den reibungslosen Ablauf des Drei-Schicht-Betriebs. Dazu gehört unter anderem auch die Probenfertigung. Zudem ist er stellvertretender Ansprechpartner für die Ausbildung angehender Gießereimechaniker. Und dass es in der Gießerei rund läuft, das ist auch am heutigen Tag wieder extrem wichtig. Gegen Mittag soll ein 25 Tonnen schweres, kernintensives Maschinenbett mit unterschiedlichsten Wandstärken gegossen werden. Und obwohl das ja nicht Höppners erster Abguss ist, spürt man bei ihm eine gewisse Anspannung. „Die Herstellung von tonnenschweren Gussteilen mit ihren teilweise sehr filigranen Formen und Kernen ist für mich auch heute noch etwas Besonderes. Aber es ist immer auch eine Herausforderung, denn es kann natürlich auch mal etwas schieflaufen. Dann muss man handeln (Bild 1).“
Computersimulation hin oder her: Sie sei zwar ein wichtiges Hilfsmittel im Vorfeld der Planung, aber auf der anderen Seite eben auch ein theoretischer Idealzustand, der von der Rückkopplung aus der Praxis lebt. „Man kann nie hundertprozentig sicher sein, dass alle Parameter beim Abguss innerhalb der vorgegebenen Toleranzen bleiben, ein Restrisiko bleibt und es gilt, mit Bedacht zu agieren. Der Gießereibetrieb ist im Endeffekt immer noch ein technisch-basierter Handwerksbetrieb und der Faktor Mensch spielt dabei eine große Rolle“, stellt Höppner klar. Aber gerade das mache ja erst den Reiz an seiner Arbeit aus. Und so marschiert der Gießerei-Ingenieur schnellen Schrittes in Richtung Abguss, bedient auf seinem Weg dorthin mal eben einen Gabelstapler und wechselt hier und da mit einem Mitarbeiter ein paar Worte zur Abstimmung des bevorstehenden Abgusses. Drei Schichtverantwortliche und zusätzlich zwei Mitarbeiter, die sich in der Meisterausbildung befinden, hat Höppner in seinem Team. Deren Arbeit gilt es aufeinander abzustimmen. Eine Aufgabe, die nicht immer ohne Reibungsverluste vonstattengehe, wie Höppner einräumt. Das sei aber völlig normal – wichtig sei es eben, immer bei der Sache zu bleiben und stets das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren.
Wirtschaftsingenieur mit anschließendem Gießereistudium – eine perfekte Kombination
Seinen Traumjob fand Höppner erst im zweiten Anlauf. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er zunächst Wirtschaftsingenieurwesen an der Westsächsischen Hochschule in Zwickau. Seine erste Anstellung entwickelte sich allerdings anders als erhofft und so war der junge Ingenieur gezwungen, sich nach beruflichen Alternativen umzuschauen. Höppner stammt aus der Nähe von Meuselwitz, bereits sein Vater arbeitete in der namensgleichen Gießerei und so absolviert Jörg Höppner dort schließlich ein Praktikum. Seinen Vorgesetzten fällt er sofort positiv auf.
Da die Gießerei zu dieser Zeit – Anfang der 2000er-Jahre – verstärkt fähige Mitarbeiter sucht, überlegt man gemeinsam, wie sich eine qualifizierte Berufsperspektive für den jungen Wirtschaftsingenieur gestalten lässt. Die Entscheidung fällt schließlich auf ein Bachelor- Studium an der TU Bergakademie Freiberg. Dort kann er sich im Wesentlichen auf den Schwerpunkt Gießereitechnik konzentrieren, da das meiste Grundlagenwissen bereits während seines ersten Studiums vermittelt wurde. Das hat vieles erleichtert, so Höppner. Und als Senior unter den Studenten habe er den Unterricht sichtlich belebt, scherzt er weiter. „Ich habe halt häufiger nachgehakt und hinterfragt als manch jüngerer Student.“ In den Semesterferien arbeitet der angehende Gießerei-Ingenieur regelmäßig in der Gießerei, sammelt Erfahrungen in verschiedenen Bereichen und fängt schließlich Mitte 2005 als Arbeitsvorbereiter an (Bild 2).
Mit Windenergie-Know-how und historisch gewachsenem Maschinenbau für die Zukunft gerüstet
Die Meuselwitz Guss Eisengießerei GmbH ist Teil der DIHAG Gruppe in Essen, einer der größten europäischen Gießerei-Gruppen, die sich aktuell in einer Phase der Neuausrichtung befindet. Seit der Privatisierung im Jahr 1992 hat sich das Unternehmen sukzessive zu einem Spezialisten für Groß- und Schwergussteile aus Grau- und Sphäroguss weiterentwickelt. Gegossen wird in einem Gewichtsbereich von ca. 250 Kilogramm bis derzeit 85 Tonnen. Gussteilegrößen von bis zu 7 Meter Durchmesser, 20 Meter Länge und 6 Meter Höhe lassen sich realisieren.
Bis vor einigen Jahren wurde ein Großteil des Umsatzes mit Gussteilen für Windkraftanlagen erwirtschaftet. Doch das zunehmend dynamische Marktumfeld ist auch an der thüringischen Gießerei nicht spurlos vorübergegangen. Der massive Absatzrückgang bei den Produzenten von Windkraftanlagen schlug voll auf die Gießerei durch; die jährliche Gussproduktion in diesem Segment fiel in wenigen Jahren um fast zwei Drittel. Doch der Gießerei gelang es nach und nach, in neue Geschäftsfelder vorzustoßen.
Mittlerweile ist der Umstieg auf die Produktion von Gussteilen für den Maschinenbau sowie den Pressen- und Mühlenbau auf einem guten Weg. Jörg Höppner sieht diese Veränderungen ganz pragmatisch: „Das ist halt der Markt. Entweder man versteht ihn und macht das Beste daraus oder man versteht es nie.“ Höppner jedenfalls versteht „Es“ und die Herausforderungen, die der Wandel mit sich bringt, jeden Tag aufs Neue für sich zu nutzen. Gussteile für Windkraftanlagen seien, bei geeignetem Seriencharakter, recht zügig herzustellen, erklärt der Gießerei- Ingenieur. Gussteile für den Maschinenbau hingegen seien da schon um einiges anspruchsvoller und zeitintensiver.
Von der Zeichnung über die Machbarkeitsstudie bis hin zum verkaufsfähigen Produkt – viele Prozesse und Abläufe musste die Gießerei neu aufsetzen. „Es macht mich stolz zu sehen, wie gut alle Abteilungen zusammenarbeiten und wie engagiert die Mitarbeiter mitziehen. Die Anforderungen an ihre Arbeit, vor allem aufgrund der Dimensionsunterschiede innerhalb der angebotenen Produktpalette, haben sich ja schließlich auch verändert (Bild 3).“ Auch in Sachen Nachwuchsgewinnung sowie in der Ausbildung der Gießereimechaniker ist Höppner aktiv. Früher mehr als heute, sagt er, da er inzwischen personelle Unterstützung bekommen habe. An weiterführenden Schulen findet man ihn mittlerweile eher selten, aber wenn eine Schulklasse zu einer Betriebsbesichtigung anrückt, dann reißt Höppner die Jugendlichen mit seiner Begeisterung für die Gießerei jedes Mal mit, erzählt Gießereileiter Pierre Kirstein und lacht. Und hin und wieder kommt es vor, dass man Jörg Höppner anschließend bei einem Plausch mit einem der Lehrer vorfindet, die den Gießerei-Ingenieur noch aus seiner Schulzeit kennen. „Jörg Höppner hat die Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen und sie mitzuziehen. Das schätze ich neben seinem Fachwissen und seinem lösungsorientierten Denken sehr an ihm“, betont Kirstein. Und auch der Umstand, dass der viel beschäftigte Gießerei-Ingenieur bekennender Pink-Floyd-Fan ist – „die guten alten Songs“ – kann beim Umgang gerade mit den älteren Kollegen, die mit dieser Musik groß geworden sind, sicherlich nicht schaden.
Auf innovativen Wegen: Mehr als 200 neue Gussteile in kürzester Zeit
Stolz sind Jörg Höppner und Gießereileiter Pierre Kirstein auch auf eine weitere Tatsache: In diesem Jahr wurden bereits mehr als 200 komplett neue Gussteile gegossen – vom Leicht- bis zum Schwergewicht. „Stand heute bedeutet das quasi mehr als ein neues Gussteil pro Tag“, sagt Pierre Kirstein und Jörg Höppner ergänzt: „Bei jedem Teil müssen ja sämtliche Kausalketten erneut abgearbeitet werden. Das ist eine Herausforderung.“ Im Endeffekt laufe es meistens auf einen Kompromiss zwischen den technischen Möglichkeiten und dem Kostenrahmen hinaus. Hierbei kommt dem studierten Wirtschaftsingenieur immer wieder auch sein betriebswirtschaftliches Know-how zugute.
Aber der bodenständige Jörg Höppner schätzt auch Herausforderungen der ganz anderen Art: die Restauration der Bockwindmühle im thüringischen Lumpzig beispielsweise. Die Windmühle aus dem Jahr 1732 wurde bei einem Sturm Anfang 2018 stark beschädigt. Der Verein, der sich um die alte Windmühle kümmert, fragte bei der Gießerei an, ob die nicht einen neuen Gusswellenkopf für die beschädigte Mühle gießen könnte. Die Gießerei kann und nun ist Jörg Höppner mittendrin, das Windmühlen- Projekt gemeinsam mit seinem Ausbilderkollegen Manuel Mälzer in die Tat umzusetzen.
Doch damit nicht genug: In der kommenden Woche steht ein weiteres Highlight an: Der Abguss des schwersten Gussteils, das die Gießerei jemals gegossen hat – über 100 Tonnen Flüssigeisen für ein Großgussteil (Bild 4). Eine logistische und organisatorische Herausforderung. „Hier wird es nie langweilig“, lacht Höppner und wirkt trotz seiner 45 Jahre fast ein wenig lausbübisch. 22 Jahre seien es noch bis zur Rente – Zeit genug, um in der Gießerei noch so einiges zu bewegen. Ob neue Produktionsausrichtungen, steigende Anforderungen an die Gussteile, verstärkter Arbeits- und Umweltschutz oder ein effizientes Energiemanagement – an Aufgaben mangelt es jedenfalls nicht. Gut so, meint Höppner.
VON KARIN HARDTKE, RATINGEN
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