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29.04.2024

Standortbedingungen bleiben ein massives Problem für den Mittelstand

Nach schwierigem Jahr 2023 bleibt die Lage laut der ArGeZ angespannt. Damit sich Investitionen in Elektromobilität lohnen, müssen sich die Produktionszahlen viel dynamischer entwickeln. Standortbedingungen bleiben ein massives Problem für den Mittelstand. Die neu gewählte EU-Kommission muss mit einer Industriestrategie für Wachstum sorgen und weniger regulieren.

Am Jahresende 2023 sehen sich die deutschen Zulieferer einem deutlichen Minus bei Produktion und Umsatz gegenüber. Gab die Produktion um 4,8 Prozent nach, so setzten die Unternehmen mit 240 Mrd. Euro rund 3,2 Prozent weniger um als noch im Jahr zuvor. Dieser Entwicklung unterliegen aufgrund der inflationsbedingten Lohnkostensteigerungen und einer niedrigeren Auslastung weiter steigende Erzeugerpreise. Diese nahmen nach einem zweistelligen Plus im Jahr 2022 erneut zu, wenngleich sich die Dynamik mit einem Plus von 2,9 Prozent abgeschwächt hat. Die in Teilen sehr schwache Nachfrage führte im Jahresverlauf zu einer kontinuierlich abnehmenden Kapazitätsauslastung, welche vor dem Hintergrund des hohen Kostendrucks und wichtiger Investitionsentscheidungen problematisch ist. Betrug die Auslastung im Jahr 2022 im Schnitt noch 81 Prozent, lag sie im abgelaufenen Jahr durchschnittlich nur noch bei 76,6 Prozent.

Die Daten verdeutlichen eins: „Die deutschen Zulieferer haben ein schwieriges Jahr 2023 hinter sich und befinden sich im Frühjahr 2024 in einer kritischen Phase“, so Christian Vietmeyer, Sprecher der ArGeZ.

Standen die Zeichen für das Jahr 2024 lange Zeit auf Erholung, sind die Prognosen zur konjunkturellen Entwicklung in den vergangenen Monaten sukzessive nach unten angepasst worden. So starten die mittelständischen Zulieferer ohne Auftragspolster und ohne Perspektive auf baldige Nachfrageimpulse in das Jahr. Dies spiegelt sich auch in den aktuellen Daten wider. So nahm die Produktion in den ersten beiden Monaten des Jahres um 4,9 Prozent zum Vergleichszeitraum des Vorjahres ab, während der Umsatz um rund 4,1 Prozent niedriger ausgefallen ist. Hinsichtlich des Fach- und Arbeitskräftemangels, der sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen wird, versuchen die mittelständischen Betriebe trotz dieser schwierigen Lage, die Beschäftigten zu halten. Mit rund 921.000 Beschäftigten gelang dies im Vorjahr überwiegend. Im Februar 2024 sank die Zahl gleichwohl gegenüber Vorjahr um 1,8 Prozent.

Die Stimmung unter den deutschen Zulieferern ist entsprechend schlecht. Das saisonbereinigte ifo-Geschäftsklima der ArGeZ-Unternehmen liegt am Ende des ersten Quartals mit minus 23,1 Punkten deutlich im negativen Bereich. Überwiegen bei der Erwartungshaltung für die kommenden sechs Monate seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine die Skeptiker, so hat die Beurteilung der aktuellen Geschäftslage eine bemerkenswerte Talfahrt hingelegt. Binnen eines Jahres kehrte sich der Saldo der gut-schlecht-Bewertungen der Betriebe in den roten Bereich. Von plus 14,6 Saldenpunkten im März 2023 verschärfte sich die Lagebeurteilung zusehends auf minus 17,7 Punkte im März 2024. Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen bezeichnet die gegenwärtige Geschäftssituation als „gut“. Schlechtere Werte findet man in der jüngeren Vergangenheit nur während der Pandemie und der Weltfinanzkrise. Handelte es sich hierbei jeweils um exogene Schocks, stellt sich heute jedoch die Frage nach einer strukturellen Schwäche des Wirtschaftsstandortes Deutschland vor dem Hintergrund der Transformation.

Für die mittelständischen Automobilzulieferer ist der Produktionsstandort Deutschland noch wichtiger als für die großen Abnehmer. Doch die Automobilproduktion hierzulande ist seit Jahren rückläufig, von einst (2012) 5,6 Mio. PKW und Kleintransportern auf nun allenfalls 4 Mio. Einheiten. Im ersten Quartal 2024 sind nur knapp 1 Mio. PKW in Deutschland gebaut worden. Gleichzeitig steigt die Produktion deutscher Autokonzerne im Ausland auf inzwischen über 10 Mio. Fahrzeuge an. Diese schleichende Deindustrialisierung im Automobilsektor führt gerade bei den kleineren Zulieferern zu sinkenden Abrufzahlen, weil im Ausland zunehmend lokal zugekauft wird und nicht jeder Zulieferer mit ins Ausland gehen kann.

In diesem Szenario einer abnehmenden Nachfrage kämpfen viele Zulieferer weiterhin mit im internationalen Vergleich zu hohen Kosten. Auch wenn die Inflationsrate selbst sinkt, sind die inflationsbedingten Kostenersteigerungen aus der Vergangenheit noch da. Die Arbeitskosten sind im internationalen Vergleich sehr hoch, auch weil die Anstiege der letzten Jahre nicht durch Produktivitätssteigerungen kompensiert werden konnten. Hinzu tritt, dass Mitarbeiter häufiger krankheitsbedingt ausfallen oder vor Erreichung des Renteneintrittsalters in den Ruhestand gehen. Und die Rekrutierung neuer Mitarbeiter gestaltet sich weiterhin äußerst schwierig.

Außerdem ist das Problem der hohen Energiepreise nicht gelöst. Die Absenkung der Börsenpreise für Strom und Gas sowie die in Aussicht gestellte Absenkung der Stromsteuer täuschen. Das Preisniveau beim Strom und Gas inklusive Netzentgelten und sonstigen Abgaben beträgt immer noch das Doppelte bis Dreifache z.B. gegenüber China, Frankreich und den USA. Es darf nicht übersehen werden, dass die Netzentgelte zum Jahreswechsel deutlich gestiegen sind, nachdem der Bundeszuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten gestrichen wurde. Die weiterhin hohen Energiepreise treffen energieintensive Betriebe, die am Anfang der automobilen Lieferkette stehen, mit voller Wucht. Die industriellen Wärmeprozesse bei der Herstellung und Bearbeitung von Zulieferteilen z.B. aus Metall, Kunststoff, Kautschuk oder Textilien, benötigen aber viel Energie. Das gilt auch für Gas und andere fossile Energieträger, solange Alternativen wie Wasserstoff gar nicht verfügbar sind. Wenn diese Kosten im Markt nicht weitergegeben werden können, schmelzen Liquidität und Eigenkapital alsbald dahin. Fairness und Partnerschaft in der Lieferkette sind da notwendiger denn je. In diesem Umfeld, in dem Kosten weiter steigen, hat der Gesetzgeber leider immer noch keine Antworten auf dramatisch anwachsende Wettbewerbsnachteile gefunden.

Die deutsche Zulieferindustrie versteht sich auch als Innovationstreiber für die Transformation des Mobilitätssektors und ist Vorreiter in Sachen Klimaschutz und nachhaltiger Produktion. Sie hat in großem Umfang in die Entwicklung neuer Technologien investiert und neue Produkte, z. B. für Elektromobile, zur Serienreife gebracht. Jetzt muss sie aber feststellen, dass die Hersteller von Elektrofahrzeugen die angekündigten Mengen nicht in dem erwarteten Umfang verbindlich abnehmen. Im ersten Quartal 2024 sind die Neuzulassungs- und Produktionszahlen beim BEV in Deutschland gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken, was sicherlich auch der gestrichenen Förderung geschuldet ist. Viele Zulieferer sind aber erheblich in Vorleistung gegangen und bekommen jetzt nicht die notwendige Rendite, weil sich die Produktion von BEV nicht in dem Maße entwickelt, wie es notwendig wäre. Diese Abkühlung bei der Elektromobilität und das ohnehin nach wie vor sehr volatile Bestellverhalten der OEM und der großen Systemlieferanten bei anderen Fahrzeugtypen bringen viele mittelständische Zulieferbetriebe in Bedrängnis. Das gilt auch für andere Abnehmer z. B. aus der Windkraftbranche. Im Moment stellen die Zulieferer jedenfalls fest, dass die Transformation kein erfolgreiches Geschäftsmodell ist.

Von der im Juni 2024 neu gewählten EU-Kommission fordert die mittelständische Zulieferindustrie die zügige Vorlage und Umsetzung einer validen Industriestrategie, die Europa wieder gegenüber den USA und Asien dauerhaft wettbewerbsfähig macht. Green Deal und Nachhaltigkeitsthemen, wie z. B. Nachhaltigkeitsberichts- und Lieferkettensorgfaltspflichten, dürfen die politische Agenda in Brüssel nicht mehr allein dominieren. Es geht jetzt darum, der Industrie Vorfahrt einzuräumen, um nicht weiter abgehängt zu werden. Zulieferer spüren bereits heute, dass ihre Finanzierung bei den Hausbanken schwieriger wird. Es darf aber nicht sein, dass die Politik europäischen Unternehmen den Zugang zu Finanzmitteln erschwert, während gleichzeitig die industrielle Wertschöpfung in anderen Regionen der Welt stark wächst. Christian Vietmeyer, Sprecher der ArGeZ: „Die EU-Taxonomie darf nicht kommen, denn sie führt zu einer Deindustrialisierung der EU, ohne den Klimaschutz tatsächlich zu fördern.“

Schlagworte

LieferketteNachhaltigkeitProduktionSchmelzen

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