Der Bundesverband der Gießerei-Industrie hatte zum zweiten Zukunftstag geladen. Diesmal als hybride und auch ganztägige Veranstaltung, digital übertragen und vor Ort im Düsseldorfer Haus der der Gießerei-Industrie. Ein Tag mit wichtigen Impulsen – Richtung Nachwuchsgewinnung und Fachkräfte, aber auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht.
Die Gießerei-Industrie hat reichlich Themen neben den typischen Fachthemen der Ingenieurs-Ebene: Das war die Geburtsidee für das Format „Zukunftstag“. Für diese neue Form von Veranstaltung – dazu gehören unbedingt Themen-Experten von außerhalb der Branche – hatte der Verband im Auftaktjahr 2021 viel Lob bekommen. Und entsprechend für 2022 das Konzept erweitert: Rund 100 Teilnehmer vor Ort plus insgesamt gut 600 in der digitalen Zuschaltung verfolgten den Zukunftstag 2022, der in seiner zweiten Auflage auch den gesamten Tag umfasste.
Das Programm teilte sich in zwei größere Blöcke: Am Vormittag dominierte der wirtschaftspolitische Block mit Stichworten wie Mittelstand und Transformation am Standort Deutschland mit all seinen Herausforderungen wie Finanzierung, Innovation und den spezifischen Bedingungen hierzulande. Nach der Mittagspause ging es um Ausbildung, Personal, Branchen und Unternehmerimage in Zeiten des Nachwuchs- und Fachkräftemangels.
Zukunft kann natürlich nur funktionieren, wenn die Branche die momentan existenzgefährdende Gegenwart überlebt. Das Thema schlechthin sind die vierzehn- bis verfünfzehnfachten Energiepreise, die im Regelfall auch nicht auf die Gusspreise umgelegt werden können. „Sprechen Sie Ihre Wahlkreispolitiker an. Wir brauchen einen Energiepreisdeckel – jetzt“, appellierte BDG-Hauptgeschäftsführer Max Schumacher vor allem an die Gießer unter den Zuschauern des Zukunftstages, die anschließend Clemens Küpper mit kritischen, aber auch nachdenklichen Anmerkungen ansprach. „Viele damalige Themen harren noch einer Lösung“, sagte der BDG-Präsident vor dem Hintergrund des ersten Zukunftstages, „wir sehen beispielsweise keine signifikanten Erleichterungen bei der Bürokratie.“
Enttäuschung über ignorierte Industrie
Das Datum der Zweitveranstaltung war vom Verband bewusst gewählt, rund ein Jahr nach der Bundestagswahl stellt sich natürlich die Frage, was aus den Themen geworden ist – und wie die Zusammenarbeit mit der neuen Administration läuft. Durchaus ambivalent, wie Küpper dann erläuterte: „Wir sind bereits sehr früh mit der Bundesregierung in Kontakt gekommen und wir hatten sehr großen Respekt vor dem Pragmatismus. Nach Veröffentlichung des letzten Entlastungspaktes kann man diesen Respekt nicht mehr so stehen lassen“, sagt der Präsident und erläuterte sein Zwischenurteil. „Wir sind enttäuscht über die breite Debatte zur Entlastung der Bevölkerung – und die Industrie kommt darin nicht vor“.
Womit der Zukunftstag dann am Vormittag wieder beim Thema Energiepreiskrise angelangt war. Im Panel „Mittelstand und Transformation am Standort Deutschland“ diskutierten Küpper, Forschungsleiterin Ludmila Lumina (Metallwerk Franz Kleinken GmbH), Prof. Martin Fehlbier (Universität Kassel) sowie – zugeschaltet aus Berlin - Stefan Wenzel, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Vorausgegangen waren Impulsvorträge von Wenzel sowie Angela Erwin, Mitglied des Düsseldorfer Landtages sowie Vorsitzende der NRW-Mittelstands- und Wirtschaftsunion („Einen industriestrompreis von 4 Cent pro Kilowattstunde muss eingeführt werden“).
Ein Panel, dass alleine die Teilnahme am Zukunftstag rechtfertigte, so spannend lief das Gespräch. „Tesla kommt ja nicht nach Deutschland, weil die Energiepreise hier so niedrig sind, sondern weil das Ingenieur-Know-how so exzellent ist“, so Fehlbier. Und Wenzel: „Technologieführerschaft ist doch für Deutschland entscheidend. Forschung und Innovation zeichnen uns aus.“ Und vom hervorragenden Image des Gusses‘ „Made in Germany“ berichtete auch Küpper. Wenzel hatte zuvor noch ein stärkendes Bekenntnis zum Standort abgegeben: „Wir wollen in der Lage sein, in Schlüsselbranche Produkte selbst zu fertigen. Das gilt auch für Ihre Branche, beispielsweise Windenergieanlagen. So der Staatssekretär, “Wir wollen die Unternehmen, die Arbeitsplätze und auch die Wettbewerbsfähigkeit erhalten.“ Große Einigkeit also, was die grundlegenden Merkmale und Vorteile des Standortes sind. Inklusive der gemeinsamen Erkenntnis, dass „Made in Germany“ auch verlässliche Lieferketten in diesbezüglich brüchigen Zeiten garantiert – ein wesentlicher Vorteil heimischer Betriebe.
Die Harmonie änderte sich dann mit dem genaueren Fokus auf den Energiekosten. „Es kommt weniger darauf an, wer am schönsten arbeitet, sondern der Preis diktiert es,“ weiß Fehlbier, was sich wenig verwunderlich mit Küppers Standort-Erfahrung als Gießerei-Geschäftsführer deckt. „Unsere Kunden sind ja internationale Kunden. Sie können einem mexikanischen CEO nur bedingt erklären, was hier Deutschland gerade abgeht. Ich selbst habe ein zwölfseitiges Handbuch verfasst – Deutschland, Strom, Gießereien – warum ist das so?“
Staatssekretär stellt keine Unterstützung in Aussicht
Eine gute Frage. Und der Schlüsselmoment des Panels war dann auch Wenzels Antwort auf die sich daraus ergebende Frage von Moderatorin Judith Schulte-Loh, wie denn die Wettbewerbsfähigkeit JETZT gestützt werden kann. Der Staatssekretär antwortete lang, sehr lang, und zog dabei vom Carbon-Leckage-Schutz bis zum BEHG, erwähnte „korporative Kostenvorteile“ – ging aber auf die aktuell existenzgefährdenden Energiepreise, die ja durchaus staatlich zu beeinflussen sind, mit keiner Silbe ein. Er sprach wertschätzend gegenüber der Gießerei-Industrie, wissend und weise. Aber nicht zum Kern, wie man sehr schnell die Strompreise sehr deutlich senken kann. Am gleichen Tag kündigte in Berlin Bundeskanzler Scholz zum Thema Energiekosten an: „Wir wollen eine Expertenkommission einsetzen“. Max Schumachers späteres Fazit am Ende des Zukunftstages bezog sich dann auch auf dieses zentrale Thema: „Wir haben viel Diffuses und auf die Zukunft gerichtetes gehört. Aber wir brauchen jetzt Unterstützung und gedeckelte Energiepreise“.
Dazwischen hatten noch zwei Themen gelegen: Zunächst das Thema Finanzierung und Transformation und Mittelstand. Am Start waren Gießer Josef Ramthun (Franken Guss/Sachsen Guss) und Udo Buschmann (Kreissparkasse Köln). Der Vorstand machte dem gießenden Mittelstand durchaus Mut. Seine Botschaft: „Eine Transformationsfinanzierung erfordert Kreativität und ein gutes Netzwerk und Miteinander. Eine Landesbürgschaft kommt nicht einfach so in den Briefkasten geflattert“, so der Banker. Gemeinsames Fazit: Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz sind entscheidend, also gute und gegenseitig wertschätzende Kommunikation.
Anschließend nach der Mittagspause kam der zweite große Block dran. Die Gäste: Prof. Dr. Helena Lischka ( FOM Hochschule für Ökonomie & Management in Essen), Manuel Bloemers (IG Metall), Jessica Rosenthal (MdB, Bundesvorsitzende Jusos, Lehrerin), Dr. Maria Richter (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen) und Britta Strunz (Krause Präzisions-Kokillenguss GmbH). Die Themen: Nachwuchs- und Fachkräftegewinnung, Bildungspolitik. Weniger als am Vormittag stand hier in Impulsen und Diskussionsrunden im Vordergrund, eine eigene Position zu definieren und daraus Anforderungen abzuleiten – eher hatte der Nachmittag einen ringenden, zusammentragenden Charakter. Spannend etwa Bloemers Blick auf den Arbeitsmarkt, der im Hinblick auf die 16-18-Jährigen von einer „verunsicherten Generation“ sprach, die mit der Wahl eines Ausbildungsplatzes auch „Sicherheit“ gewinnen wolle. Überhaupt sei das Thema Personal kein nebensächliches- „Es ist eine strategische Kernaufgabe, die vom Gesellschafter, dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung eingesteuert und controlled werden muss.“ Was sind Faktoren für eine erfolgreiche Personalpolitik? „Ein echtes und am besten positives Unternehmensimage gehört dazu.“ Seine Ausführungen hatten ihre Schnittmenge mit dem Vortrag von Prof. Lischka. Sie betonte, wie wichtig die Präsenz von Unternehmen und Branchen sei. „Das Branchenimage steht über dem Unternehmensimage“. Rosenthal beklagte zum Thema Aus- und Weiterbildung ein „Zerreiben“ des Themas zwischen verschiedenen Playern „und im Föderalismus, da Bildung ja bekanntlich Ländersache ist. „Entscheidend ist ein gemeinsames Commitment, das Thema gemeinsam anzugehen.“ Soziologin Richter betonte, wie fixiert gerade der deutsche Markt auf „Zertifikate“ sei und bestätigte: „Wir weisen seit Jahren auf das Nachwuchsproblem in der klassischen Ausbildung hin“. Nach ihrer Erfahrung lauten die Faktoren für die Berufswahl: Neigungen und Interessen, Kenntnisse über Ausbildungsweg und Berufsoptionen, Soziale Passung (was sagt mein Umfeld zu meinen Präferenzen?), schließlich Bedeutung des Betriebes und erwartete Arbeitsmarktperspektiven.
Extrem erfrischend wirkte dann die Beteiligung von Unternehmerin Strunz, deren Gießerei sehr ländlich zwischen der Großstadt Nürnberg und der Audi-Stadt Ingolstadt liegt: „Tatsächlich haben wir keine Probleme, unsere Auszubildenden zu finden. Unsere Auszubildenden sind häufig ehemalige Praktikanten,“ sagt die Unternehmerin und nennt als Erfolgsfaktor: „Wir haben schon vor Jahren die Öffentlichkeitsarbeit forciert.“ Damit schloss sich der Kreis zu Prof. Lischka.
Was bleibt vom Zukunftstag? Das drängende Thema Energiekosten, zwangsläufig ein zentrales Thema, ist ungelöst. Hier tun Verband und Branche im Schulterschluss, was aktuell zu tun ist. Clemens Küpper: „Mein persönlicher Eindruck ist: Wir sind auf dem richtigen Weg – wir als Branche. Ob die Politik da mitgeht? Das Wort Optimismus wäre optimistisch“. Und Max Schumacher betonte ein Metathema.“ Wir haben heute eine Klammer erlebt. – das ist das Thema Sichtbarkeit. Wir haben es bei den Arbeitskräften gesehen, aber auch im politischen Bereich“.
Aufzeichnung online verfügbar
Die einzelnen Panels des Zukunfstages, können Sie unterhalb des Artikels in voller Länge anschauen.
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