Fachartikel
01.09.2021

Neues wagen statt „business as usual“

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GIESSEREI

Die Corona-Pandemie ist für deutsche Eisengießereien eine Chance. Denn „Nähe“ und „Made in Germany“ sind in der Krise verstärkt gefragt. Um dauerhaft im globalen Markt wettbewerbsfähig sein zu können, müssen Gießereien jedoch die Kosten für Gussteile deutlich senken. Das gilt vor allem für die Produktion von Kleinserien – also im Wesentlichen von allem, was nicht Automotive ist. Dabei spielen den deutschen Gießern ihre Kundennähe und ihre Erfahrung in die Karten. Ein Standpunkt.

Automotive-Gießereien müssen ihre Prozesse seit jeher regelmäßig optimieren, um dem erheblichen Kostendruck seitens ihrer Kunden standzuhalten. Gießereien, die für Maschinenbau, Landwirtschaft oder den Straßenbau kleinere Stückzahlen herstellen, waren diesem Kostendruck weniger ausgesetzt.

Viele Gießereien haben die Kostenoptimierung daher schlicht verschlafen. Sie profitieren zwar derzeit von der corona-bedingten Rückkehr von Kunden zu heimischen Zulieferern. Doch dieser Trend kann auch schnell wieder enden. Mit folgenden Schritten können Gießereien Kosten senken und die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sichern:

Bauteile für den Guss optimieren

Am Anfang jedes Gussauftrags steht das Wunschprodukt des Kunden. Wie das Produkt auszusehen hat, ist abhängig von der Anwendung des Bauteils. Unter Berücksichtigung der geforderten mechanischen Eigenschaften werden Maße, Befestigungen, Hohlräume, Wandstärken und Gewicht in einem CAD-Modell so definiert, dass das Bauteil den jeweiligen Anforderungen in der Praxis genügt. Diese Wunschgeometrie ist für den Herstellungsprozess jedoch nicht immer eine ideale Grundlage. Häufig wird hoher Aufwand betrieben, um das gewünschte Produkt herstellen zu können.

Sind die Vorgaben nur schwer umsetzbar, treten zudem vermehrt Gussfehler auf. Dieser Ausschuss treibt die Kosten zusätzlich nach oben. Es ist daher im Interesse der Gießerei und des Kunden, das Bauteil bei der Konstruktion gießgerecht auszulegen. Gießer und Kunde sollten in einem intensiven Austausch das Produkt gemeinsam betrachten und gießgerecht gestalten. Eine Stellschraube für mehr Effizienz ist die Gestaltung der Hohlräume. Sollten dafür mehrere Kerne gefertigt werden, ist das ein Kostentreiber. Es ist daher wichtig, dass der Konstrukteur die Anzahl der Kerne in einem Bauteil so gering wie nötig hält. In manchen Fällen lohnt es sich, ganz auf Kerne zu verzichten. Denn Hohlräume lassen sich auch durch Bohrungen erzielen. Das macht dann Sinn, wenn man etwa für kleine Hohlräume einen teuren Spezialsand benötigt. Das Bohren ist in diesem Fall wesentlich günstiger.

Graziano Sammati, vormals Geschäftsführer der Kurtz Eisenguss GmbH zu der die Smart Foundry in Hasloch gehörte, ist heute Mitglied der Geschäftsführung von Procast Guss in Gütersloh. - © Procast Guss
Graziano Sammati, vormals Geschäftsführer der Kurtz Eisenguss GmbH zu der die Smart Foundry in Hasloch gehörte, ist heute Mitglied der Geschäftsführung von Procast Guss in Gütersloh. © Procast Guss

Gießen ohne Nachbearbeitung

Wurde das Bauteil für den Guss optimiert, kann der Gießer beim Modellbau weitere Maßnahmen ergreifen, um die Kosten zu senken. Häufig kann beispielsweise beim Zulaufsystem Material eingespart werden und zwar ohne dass die Qualität darunter leidet. Bei jedem Projekt sollte detailliert durchdacht werden: Wie stark müssen die Zuläufe sein? Muss das System so ausgelegt sein oder kann man noch Material einsparen?

Ein wesentlicher Kostenfaktor für den Guss sind Nachbearbeitungsprozesse wie das Schleifen und Polieren. Kostenoptimierung beim Guss bedeutet daher vor allem, das Modell so zu gestalten, dass nach dem Guss nur wenige Arbeitsschritte folgen müssen. Um Schleifprozesse zu minimieren, ist es entscheidend, Rückstände am Guss zu vermeiden. Möglich ist das mithilfe eines sogenannten Edelgrats. Dieser macht ein nachträgliches Schleifen unnötig.

Auch beim Thema „Schleifen“ ist die Kommunikation mit dem Kunden wichtig. Er muss eventuell zustimmen, dass gewisse Geometrien beibehalten und nicht weggeschliffen werden. Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Nachbearbeitungsschritte auch im Sinne des Kunden verzichtbar sind. Die Kosten, die durch Putzen und Schleifen entstehen, lassen sich auch durch eine optimierte Kernherstellung reduzieren. Ziel eines optimalen Kernaufbaus ist es, dass sich kein Metall zwischen die Kerne setzt, das man wieder wegputzen muss. Der Gießer benötigt dazu ein sehr hohes Know-how bei der Kernherstellung und viel Erfahrung.

Digitaler Gießer

Die Digitalisierung hat nicht erst seit Corona Einzug gehalten bei deutschen Gießern. Und das aus gutem Grund: Visualisierung ist das A und O für einen gelungen Gussprozess. CAD-Programme sind daher unverzichtbar. Aber auch Bürosoftware wie Microsoft Teams oder moderne Buchhaltungs- und CRM-Programme beschleunigen und vereinfachen die Arbeit der Gießerei.

Die Eisengießerei Procast Guss, zu dessen Geschäftsführung Graziano Sammati gehört, fertigt im Maschinenformgießen 40 000 Tonnen Guss im Jahr (Fotos: Procast Guss). - © Procast Guss
Die Eisengießerei Procast Guss, zu dessen Geschäftsführung Graziano Sammati gehört, fertigt im Maschinenformgießen 40 000 Tonnen Guss im Jahr (Fotos: Procast Guss). © Procast Guss

Denn die für den Guss benötigten Informationen müssen schnell an die Stellen gelangen, wo sie gebraucht werden: Beim Modellbauer, beim Kunden und beim Gießerei-Mechaniker in der Fertigung. Digitale Instrumente erhöhen die Geschwindigkeit und ermöglichen eine klarere Darstellung.

Engagiertes Personal

Ein wesentlicher Faktor für die Effektivität eines Unternehmens ist das Engagement des Personals. Das ist in allen Branchen der Fall. In der Gießereibranche besteht allerdings Nachholbedarf, was die Selbstverantwortung vieler Mitarbeiter angeht. Oftmals herrscht die Devise „Business as usual“. Für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens ist es jedoch entscheidend, dass sich jeder Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz Gedanken darüber macht, wie sich die Prozesse optimieren lassen. Das Unternehmen muss sich ständig verbessern. Ohne das Mitdenken aller Mitarbeiter ist das nicht möglich.

Engagierte Mitarbeiter gibt es nur dort, wo Mitarbeiter auch zufrieden sind. Neben der Optimierung der Prozesse ist daher auch das Personalmanagement entscheidend. Dazu gehört auch, dass sich ein Unternehmen fragt, ob die richtigen Leute an der richtigen Stelle arbeiten. In einer Gießerei spielt auch die Muskelkraft eine Rolle, wenn man Mitarbeiter richtig einsetzt. Aber auch Interessen und Qualifikationen. Ist jeder Mitarbeiter dort, wo er sich wohlfühlt, hat das Unternehmen einen höheren Nutzen und der Mitarbeiter mehr Spaß an seiner Arbeit.

Fazit

Um Kosten beim Guss zu senken, braucht eine Gießerei Erfahrung und die richtige Technik. Noch entscheidender sind aber die Kommunikation mit dem Kunden und den Mitarbeitern sowie der Mut, Neues zu wagen. Wenn deutsche Gießereien diesen Schritt gehen, können sie entscheidende Wettbewerbsvorteile im globalen Markt für sich nutzen.

www.proca.st

(Autor: Graziano Sammati, Gütersloh)

Schlagworte

CADDigitalisierungFertigungGestaltungGießenGießereiGussfehlerGussteileKernherstellungKommunikationKonstruktionMaschinenbauProduktionSoftware

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