Beim diesjährigen Aalener Gießereikolloquium, das von der Gießerei Technologie Aalen unter der Leitung von Herrn Prof. Lothar Kallien organisiert wurde, diskutierten über 240 Vertreter der Gießerei-Branche die aktuellen Herausforderungen sowie technische und strategische Lösungsansätze, insbesondere im Bereich der Druckgießtechnologie. Dazu stellten 22 Firmen ihre Produkte und Innovationen in einer Table-Top-Ausstellung vor.
VON LOTHAR KALLIEN
Die erste Vortragssession begannen Klaus Sammer und Thomas Kopp von der BMW AG unter dem Motto „das richtige Material am richtigen Ort“. An einem Realbeispiel zeigten sie, dass hohe Wandstärken, die zur Formfüllung benötigt werden, kontraproduktiv für crashrelevante Großgussbauteile sind. Durch das Fügen eines Blechs in diesen Bereichen kann das Leichtbaupotenzial bestmöglich ausgeschöpft und der Fahrzeugrahmen auf einer vorhandenen Druckgießanlage hergestellt werden. Mithilfe gedruckter Sandkerne lässt sich so zum Beispiel der zentrale elektrische Antriebsstrang, der Drehmomente bis 760 Nm aufnimmt, als „Singlepiece“ im Injektor-Casting-Verfahren herstellen.
Die gesamte Gießerei-Industrie sieht sich mit Risiken wie multiplen Krisen, Wettbewerbsdruck und Fachkräftemangel konfrontiert, so Mirco Wöllenstein von der Volkswagen AG. Gleichzeitig ergeben sich aber auch neue Chancen in Zeiten der Transformation durch innovative Produkte und Prozesse sowie Hochleistungsteams und Digitalisierung. Die Herstellung von Großgussteilen auf bestehenden Druckgießanlagen für den Karosseriebau ermöglicht zum Beispiel die Substitution von Baugruppen aus Einzelteilen, um Bauteilgewicht, Kosten und Durchlaufzeiten im Fahrzeugbau reduzieren. Umwelttechnische Aspekte werden in der Gießerei Kassel mit einer „goTOzero-Strategie“ angegangen. Der Einsatz von Sekundäraluminium sowie grünem Wasserstoff im Umschmelzwerk aus dem bislang größten in Bau befindlichen Elektrolyseur werden in den kommenden Jahren einen großen Beitrag zur Reduzierung des CO2-Footprint bei der Produktion leisten.
Katharina Faerber und Denis Hopp stellten das Konzept zu nachhaltigen Druckgießlegierungen der Firma Handtmann vor. Ziel ist es, bis 2039 klimaneutral zu produzieren. Den höchsten CO2-Impact haben Primär-Aluminiumlegierungen mit 6,8 kg CO2 pro kg (EU-Durch-schnitt) für die Herstellung von Struktur- und Fahrwerksbauteilen. Durch den Einsatz von Sekundäraluminium mit einem Recyclinganteil von 90 % kann der CO2-Footprint auf unter 1 kg CO2 pro kg Aluminium gesenkt werden. Ein weiterer Ansatz zur Dekarbonisierung bei der Firma Handtmann ist der Leichtbau durch Topologie- und Strukturoptimierung. Um aber langfristig die Marktposition zu sichern, müssen immer die Megatrends und deren Einfluss auf die Gießereibranche beobachtet werden. Diese sind aktuell Globalisierung, E-Mobilität, Dekarbonisierung sowie künstliche Intelligenz.
Ein innovatives Werkzeugkonzept präsentierte Roberto Trevisan von der Firma Vetimec mit dem Tandem-Gießen von Druckguss-Strukturbauteilen. Der neue Ansatz erlaubt es, zwei Bauteile auf einer Maschine gleichzeitig herzustellen, ohne dass sich die Zuhaltekraft dabei verdoppelt. In Kooperation mit der Firma Bühler ist die Umsetzung solcher Werkzeugkonzepte für GIGA-Druckgießanlagen geplant. Fabian Hofstätter, SAG Innovation GmbH, erläuterte die Vorteile des Rheocastings, die vor allem in der laminaren Schmelzeströmung zu sehen sind. So lässt sich die Porosität gegenüber dem klassischen Druckgießen verringern. Ferner wirkt sich die geringere Temperatur einer Semi-Solid-Schmelze positiv auf Werkzeugstandzeiten, Wandstärkenverteilung und die Schwindung aus.
Den zweiten Veranstaltungstag eröffnete Achim Keidies vom Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG): die circa 70 000 Beschäftigten der Deutschen Gießerei-Industrie erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2022 rund 14 Mrd. Euro Umsatz, was einer Steigerung um 19 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Aus einer Kapazitätsauslastung von 85 % und einer Reichweite der Auftragsbestände von etwas mehr als fünf Monaten ergibt sich eine gute Auftragslage der bestehenden Gießereien.
Martin Lutz, Wollin GmbH, stellte das Minimalmengensprühen (MMS) für den Druckgießprozess vor. Mit dem Leitsatz „weniger ist mehr, noch weniger ist besser“ charakterisierte er die Varianten des Wollin EcoSpray, durch das der Trennmittelauftrag von mehr als einem Liter auf wenige Milliliter pro Gießzyklus verringert wird. Neben der verringerten Sprühnebelbelastung der Mitarbeiter ergibt sich eine Reduzierung des durch den Trennmittelauftrag hervorgerufenen Abwasseraufkommens um 100 % sowie eine Verkürzung der Sprühzykluszeit und eine Verringerung der Temperaturdifferenz vor und nach dem Sprühvorgang. Bei der von Tommaso Botter, Mambretti Tech, vorgestellten GISS-Technology (Gas Induced Superheated Slurry) werden unmittelbar vor dem Gießbeginn durch das Einbringen von Stickstoffgasblasen feinverteilte Keime in der Aluminiumschmelze erzeugt. Die Gießtemperatur dieses Schmelzgemisches (Superheated Slurry) liegt deutlich unterhalb der konventionellen Gießtemperatur. Durch den erhöhten Festphasenanteil ergeben sich zum einen verbesserte Formfüll- und Nachspeisungsbedingungen zum anderen reduziert sich der Anteil an Gas- und Schwindungsporosität im Druckgussteil bereits bei geringem Nachdruck.
Jochen Caster, Quaker Houghton Sales B.V., zeigte Einsparpotenziale durch den wasserfreie Formtrennstoff Lubrolene auf, der in einem großen Temperaturbereich anwendbar ist und mit einem Sprühdruck kleiner 1 bar elektrostatisch aufgetragen wird. Der erzeugte wraparound Effekt garantiert eine optimale Oberflächenbenetzung, sodass vor allem bei komplexen Formgeometrien wie Rippen und Seitenwandabschnitten, mit einer einzelnen Düse größere Bereiche abgedeckt sind als beim konventionellen Minimalmengensprühen.
Den Abschluss der Veranstaltung bildeten Kurzvorträge der Mitarbeiter des Gießereilabors der Hochschule Aalen über den Stand aktueller Forschungs- und Entwicklungsthemen. Hierzu zählen unter anderem die Analyse des zyklischen Werkstoffverhaltens moderner Zink-Druckgusslegierungen sowie die optimale Beschichtung von Zink-Druckgussteilen, die Verwendung mehrschichtiger Sandkerne beim Druckgießen und der Vergleich mechanischer Kennwerte von Bauteilen, die in unterschiedlichen Druckgießverfahren mit Primär- und Sekundärlegierungen hergestellt wurden. Aber auch die Herstellung von Hybridbauteilen aus GFK oder Holz in Kombination mit Druckguss sowie faserverstärkter Magnesiumdruckguss und die Gasinjektionstechnologie zur Erzeugung von Hohlstrukturen zur Medienleitung werden vielversprechend erforscht.
Schlagworte
AluminiumBeschichtungCastingDigitalisierungDruckgussForschungGießereiGussGussteileLeichtbauMagnesiumMagnesiumdruckgussProduktionRecycling