Bewährte Kriterien wie der Preis, die Verlässlichkeit der Zahlungsziele oder die Länge der Geschäftsbeziehung spielen bei Unternehmen nach wie vor die wichtigste Rolle bei der Auswahl ihrer Kund*innen und Lieferant*innen. Nachhaltigkeitsaspekte sind – ungeachtet des neuen Lieferkettengesetzes – klar untergeordnet. Das belegt eine aktuelle Umfrage des German Business Panel (GBP). Die GBP-Daten belegen die insgesamt ablehnende Haltung vieler Unternehmen gegenüber der aktuellen Nachhaltigkeitsregulierung, darunter auch der neuen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Im Mai 2024 hat die Europäische Union nach heftiger Kontroverse eine neue Lieferkettenrichtlinie verabschiedet, die große Unternehmen dazu verpflichtet, sich stärker für Umweltschutz und Sozialstandards (Environmental, Social, Governance, ESG) einzusetzen. Mit Dokumentationspflichten soll dabei auf alle an Lieferketten beteiligten Unternehmen Druck ausgeübt werden, zur Einhaltung von Nachhaltigkeitszielen beizutragen. Bis 2029 soll diese Richtlinie schrittweise umgesetzt werden.
In Deutschland gilt schon seit dem Vorjahr das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz mit ähnlicher Zielsetzung. Die aktuellen Daten des GBP zeigen nun, dass die damit verbundenen Erwartungen sich nur eingeschränkt erfüllen: Wenn Unternehmen ihre Kund*innen oder Lieferant*innen auswählen, passiert das in den meisten Fällen weiterhin auf Grundlage von harten finanziellen Kennzahlen wie Preis, Produkteigenschaften, Lieferungs- und Zahlungsmodalitäten. Diesen Kriterien wird laut der GBP-Umfrage die höchste Relevanz beigemessen. Nicht-finanzielle Kennzahlen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit rangieren dagegen ganz unten auf der Liste. Die Ergebnisse gelten sowohl für große Unternehmen, die ihre ESG-Performance offenlegen müssen, als auch für kleinere Unternehmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten, die dazu nicht verpflichtet sind.
Allein Unternehmen, die für ihr eigenes Geschäftsmodell einen Fokus auf ESG-Faktoren in Anspruch nehmen und daher strategisch verankerte Nachhaltigkeitsziele haben, sind dazu bereit, ihre Bemühungen in Bezug auf Umwelt und Soziales zu erhöhen und ihre Lieferketten entsprechend anzupassen. Darunter fallen insbesondere Unternehmen, die auch in reale Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen investieren, zum Beispiel durch eine Verringerung ihrer eigenen Emissionen.
„Die vielen bürokratischen Pflichten, die für Lieferketten eingeführt wurden, ändern offensichtlich wenig daran, dass Unternehmen bei der Auswahl ihrer Geschäftsbeziehungen kaum bereit sind, ihre gewohnten Geschäftsabläufe aus Rücksicht auf gesellschaftliche Ziele umzustellen. In zu vielen Fällen ist die Umsetzung des Gesetzes eine reine Compliance-Übung ohne realen Einfluss auf Nachhaltigkeitsziele“, sagt Prof. Dr. Jannis Bischof, Inhaber des Lehrstuhls für ABWL und Unternehmensrechnung an der Universität Mannheim und wissenschaftlicher Projektleiter des GBP.
Mit der negativen Bewertung der Regulierung von Lieferketten geht einher, dass die meisten Unternehmen die neuen verpflichtend eingeführten Standards (European Sustainability Reporting Standards, ESRS) zur Nachhaltigkeitsberichterstattung „eher negativ“ oder „sehr negativ“ bewerten: Bei Unternehmen ohne ESG-Fokus liegt dieser Anteil bei 56 Prozent und selbst bei Unternehmen mit ESG-Fokus stimmen 39,2 Prozent dieser Aussage zu. Sie bemängeln auch hier, dass die Vorgaben zu bürokratisch und zu komplex seien.
Bemerkenswerterweise schneiden die neuen Vorgaben bei den sie praktizierenden Unternehmen besonders schlecht ab: 59,3 Prozent der Anwender mit ESG-Fokus berichten, dass der Berichtsaufwand zu hoch sei, wohingegen bei den Nicht-Anwendern dieser Anteil bei 52 Prozent liegt. 66,7 Prozent der Anwender mit ESG-Fokus halten die Vorgaben für zu komplex und zu bürokratisch gegenüber 59 Prozent der Nicht-Anwender. „Gerade diejenigen, die sich mit den Standards aktiv auseinandersetzt haben, scheinen also besonders kritisch zu sein“, resümiert Bischof.
Den „GBP-Monitor: Unternehmenstrends im Juli 2024“ finden Sie hier
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