Die Transformation in der Metallindustrie hin zu klimaneutralen Produktionsprozessen ist eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre. Till Schreiter, CEO von ABP Induction, spricht in diesem Interview über die spezifischen Anforderungen an Unternehmen der Metall- und Gießereibranche, die aktuellen technologischen Entwicklungen und die Rolle der Digitalisierung. Er beleuchtet, welche Lösungen ABP Induction bereits heute bietet, wie Wasserstoff zur Dekarbonisierung beitragen kann und welche Hindernisse noch zu überwinden sind.
Auch die Bedeutung globaler Marktentwicklungen und die Rolle der Politik werden thematisiert. Ein zentraler Punkt ist, dass Unternehmen, die frühzeitig in nachhaltige Technologien investieren, die besten Chancen haben, bei Erreichen des sogenannten Tipping Points Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Die Digitalisierung erweist sich dabei als entscheidender Enabler, um die Produktivität zu steigern und die Flexibilität zu erhöhen. Schreiter fordert klare politische Rahmenbedingungen, insbesondere im Bereich der Energie- und Wasserstoffstrategie, um Unternehmen die notwendige Investitionssicherheit zu bieten.
Welche spezifischen Transformationsanforderungen müssen Unternehmen in der Metallerzeugung und -verarbeitung erfüllen, um klimaneutral zu werden?
Till Schreiter: Die grundsätzliche Herausforderung für die Metall-Erzeugung und -Verarbeitung, um klimaneutral zu werden, besteht darin, nur noch Prozesse zu verwenden, die kein CO2 emittieren. Blickt man auf die klassischen Prozesse, sieht man auf der Rohstahlerzeugungsseite die Hochofenprozesse, im Gießereibereich für große Produktionen den Kupolofenprozess, der ebenfalls CO2-basiert ist. Bis jetzt haben wir in der Energieversorgung keine neuen Optionen, außer entweder Strom atomar zu erzeugen oder durch Solar- oder Windenergie, weitere Optionen stehen uns realistischerweise nicht zur Verfügung. Verweist man auf Wärmeprozesse mit Erdwärme oder ähnlichem, muss man konstatieren, dass dies eher Themen sind, die zum Heizen oder für Industrien gelten, die zwar Wärme brauchen, aber nicht in dem Maße wie zum Schmelzen – also für die metallurgische und Metallerzeugung irrelevant. Diese Prozesse gilt es zu ersetzen, sei es bei der Stahlerzeugung oder der Verflüssigung. Erdgas wird zwar als weniger dramatisch im CO2-Footprint angesehen als Kohle und Koks, aber auf Dauer - wenn wir CO2-frei sein wollen – ist das natürlich auch keine Option und muss mittelfristig ersetzt werden.
Welche technologischen Entwicklungen sind heute verfügbar, um den Herausforderungen der klimaneutralen Produktion in der Metallindustrie zu begegnen?
Till Schreiter: Schauen wir uns die Stahlerzeugung und den Hochofenbereich an, dann gibt es Leuchtturmprojekte, die den koksbasierten Hochofenprozess durch ein Direktreduktionsverfahren auf Wasserstoffbasis ersetzen sollen und dann das direkt reduzierte Eisen im Elektroverfahren weiter einschmelzen. Technologisch wird das Ganze gefördert, wobei die Kerntechnologie gar nicht neu ist, sondern seit Anfang der 90er Jahre im industriellen Standard verkauft, installiert und im Betrieb ist. Klar ist: Man kann auch einen Kupolofen ersetzen, das ist technologisch machbar und bekannt. Statt über einen Kupolofen kann man über eine Elektroinduktionsroute gehen. Induktionsöfen sind in diesem Fall sinnvoller als Lichtbogenöfen, weil die Leistungsdichte und die Produktionsmenge nicht so hoch sind wie in der Stahlerzeugung und die Ausbringung eines Induktionsofens allemal besser ist als die eines Lichtbogenofens – das zeigen unsere Erfahrungen. Im Bereich der Metallurgie muss man sicherlich darüber nachdenken, wie man kohlebasierten Zuschlagstoffe ersetzen kann. Zumal man diese benötigt, um die Schaumschlacke zu erzeugen, die den Lichtbogen schützt und den Ofen überhaupt so effizient macht.
Welche Innovationen bringt ABP schon heute hier ein?
Till Schreiter: Die Elektrifizierung des Kupolofen-Prozesses ist für uns bei ABP eine Standardtechnik. Mit Blick auf die Skalierung sehen wir aktuell bereits sehr leistungsstarke Anlagen, die für einen Großteil der Produktion ausreichen. Zusätzlich arbeiten wir an neuen Technologien für die Erwärmung von Stahl, z. B. durch induktive Wiedererwärmungsöfen oder die Elektrifizierung der Brennertechnologie.
Wie kann der Einsatz von Wasserstoff in der industriellen Prozesswärme zur Dekarbonisierung beitragen?
Till Schreiter: Wasserstoff grundsätzlich zu nutzen, um industrielle Prozessveränderungen für die Dekarbonisierung einzusetzen, ist sicher eine Kosten-Nutzen-Frage, wenn man es gesamthaft betrachtet. Der beste Umtauschwert liegt in der Stahlindustrie, weil durch die Dekarbonisierung ein großer Effekt bei der CO2-Einsparung erzielt werden kann. Allerdings stellt sich die Frage, ob wir den dafür nötigen Wasserstoff überhaupt nach Deutschland bekommen können. Wenn wir uns überlegen, dass ein Großteil der Rohstoffe, die wir für die Stahlerzeugung brauchen, ohnehin per Schiff transportiert wird, dann könnte man sich die ketzerische Frage stellen: Wäre es nicht sinnvoller, die Stahlerzeugung in die Länder zu verlagern, die ohnehin den Wasserstoff herstellen und die Erze liefern?
Inwiefern beeinflussen die globalen Marktentwicklungen den Transformationsdruck auf den metallurgischen Maschinen- und Anlagenbau?
Till Schreiter: Die Produkte der Metallindustrie gehen entweder in den deutschen Maschinenbau oder vermehrt in die deutsche Automobilindustrie. Aktuell sind die Diskussionen um den VW-Konzern und den Abbau von Arbeitsplätzen und Standorten präsent. Das beeinflusst die Entscheidung, ob neue Anlagen in Deutschland gebaut oder bestehende Anlagen mit neuen Technologien ersetzt werden. In Deutschland ist die Entwicklungsperspektive aktuell leider ganz und gar nicht eindeutig: Wir wissen gar nicht, wohin die Energiepreise in Deutschland gehen sollen und werden. Wozu und wofür ist der deutsche Staat bereit, gewisse Strompreise oder Ähnliches für die deutsche Industrie zu garantieren? Diese Unsicherheit erhöht den Transformationsdruck erheblich.
Welche Rolle spielt der metallurgische Maschinen- und Anlagenbau als "Enabler" der Transformation in der Metallerzeugung?
Till Schreiter: Der metallurgische Maschinen- und Anlagenbau muss schauen, welche Fertigungsschritte im Prozess kundenorientiert stattfinden müssen, um mit den Kunden gemeinsam Neuentwicklungen der Endprodukte zu erzeugen. Diese Schritte werden hier in Deutschland bleiben. Andere Produktionsschritte werden jedoch in andere Länder verlagert – entweder innerhalb Europas oder ins nichteuropäische Ausland.
Wie können Unternehmen in dieser Branche sicherstellen, dass ihre technologischen Entwicklungen sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich tragfähig sind?
Till Schreiter: Die große Frage ist, wann es sich lohnt, eine Anlage umzubauen. Aktuell warten die Kunden ab, wenn keine staatliche Förderung vorhanden ist, da erhebliche Investitionen in die Dekarbonisierung getätigt werden müssten, ohne zu wissen, wo die Energiepreise hingehen. Solange der konventionelle Stahl Absatz findet und der Preis entscheidend ist, wird weiterhin CO2-intensiv produziert. Wenn der Tipping Point kommt, dann kommt er schnell. Unternehmen sollten, wenn sie Anlagen sowieso ersetzen müssen oder an das Ende ihrer Lebensdauer kommen, auf jeden Fall darauf achten, dass sie eine Umstellung vorbereiten.
Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?
Till Schreiter: Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle. Wer Vorreiter in der Digitalisierung ist, kann jetzt schon damit beginnen, ohne auf eine Umstellung aufgrund der Nachfrage oder der Kosten in der Dekarbonisierung warten zu müssen. Mit Digitalisierung können flexiblere Produkte entwickelt werden, die noch kundenorientierter sind – hier machen wir als ABP sehr gute Erfahrungen. Was sich aus unseren Projekten auch zeigt: Die Produktion kann viel besser geplant werden, Energieverluste können reduziert werden, was wiederum die Anlagenverfügbarkeit steigert und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht.
Welche Hindernisse müssen überwunden werden, um den Wandel hin zu klimaneutralen Produktionsprozessen zu beschleunigen?
Till Schreiter: Die Forderung an die Politik ist, Investitionssicherheit zu schaffen – durch eine klarere und verständliche Energiepolitik, vor allem eine sichere Preis- und Energiepolitik. Auch eine klare Wasserstoffstrategie ist notwendig, die realistische Ziele verfolgt und politische Entscheidungen trifft, die den Tatsachen ins Auge sehen: Wie viel Wasserstoff ist wirklich für die Industrie in Deutschland verfügbar? In Deutschland gibt es erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der zukünftigen Energiepreise und der Bereitschaft des Staates, stabile Rahmenbedingungen für die Industrie zu schaffen. Diese Unsicherheit ist eines der größten Hindernisse für den Wandel.
Welche Chancen ergeben sich für Unternehmen, die frühzeitig in nachhaltige Technologien investieren?
Till Schreiter: Unternehmen, die frühzeitig in grüne Technologien investieren, werden bei Erreichen des Tipping Points am meisten profitieren. Wenn der Tipping Point kommt, wird derjenige, der am schnellsten grün produziert und dies auch produktiv umsetzt, den größten Marktanteil gewinnen. Wer erst dann beginnt, sich mit dem Thema zu beschäftigen, wird hinterherhinken. Hier bringen wir als ABP uns intensiv ein – wir sehen uns als „your partner on the way to zero emission“, wie wir es seit der GIFA 2023 in der Branche geprägt haben. Unser Entwicklungs- und Anwendungswissen kann Unternehmen schnell helfen, den Transformationsprozess voranzutreiben. Meine Empfehlung ist: Unternehmen sollten jetzt schon Geld in die Hand nehmen, um eine Umbauplanung und Studie in der Schublade zu haben, die regelmäßig aktualisiert wird, sodass sie jederzeit bereit sind, umzubauen. Das bedeutet nicht nur eine technische Planung, sondern auch finanzielle Aspekte und eventuell die Zusammenarbeit mit Banken und Finanzierungspartnern. Genehmigungsverfahren sollten bereits eingeleitet werden, damit man sofort umstellen kann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.
ABP Induction Systems GmbH
Kanalstr. 25
44147 Dortmund
www.abpinduction.com
(Hinweis: Alle Fotos von ABP Induction Systems GmbH)
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