Die Alternative zum Auto ist das bessere Auto, das sich nicht mehr im Privatbesitz des Nutzers befindet und mithilfe der Digitalisierung ganz neue Strukturen für den Verkehr von morgen ermöglicht – das sind die Thesen von Mobilitätsforscher Prof. Dr. Andreas Knie in seinem Vortrag auf dem Zukunftstag.
Der Sozialwissenschaftler ist einer der Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Knie stellte seinen Thesen erst einmal eine Reihe Zahlen und Fakten zur Mobilität in Deutschland voran:
> Noch immer ist der gesamte Verkehr für rund ein Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich, eine Reduktion in den letzten Jahren ist praktisch nicht gelungen
> Der Autoverkehr verursacht pro Jahr Kosten von 110 Mrd. Euro (Quelle: EU)
> Es gibt 48 Mio. Verbrenner-Pkw, aber nur 333 000 BEV und 40 000 Ladepunkte
> Jeden Tag werden rund 22 Hektar für Verkehrsflächen versiegelt
> Ein Auto steht 94,8 % seiner Zeit, fährt es, ist es statistisch mit nur einer Person besetzt.
Weiter führt er an, dass Wirtschaft und Gesellschaft seit fast 100 Jahren rund um das Verkehrsmittel Auto konzipiert seien – angefangen beim priorisierten Verkehrswegebau und dem Vorrang des Autos in der Straßenverkehrsordnung über besondere Förderungen Mitte des letzten Jahrhunderts bis hin zu dem Privileg, es auf öffentlichen Straßen überall abstellen zu dürfen. Es gäbe keine gesetzlichen Regelungen, welche die Attraktivität des Autos einschränken würden.
Noch immer ist für die OECD die Zahl der zugelassenen Pkw ein Wohlstandsindikator. Das Auto hat es in Deutschland ermöglicht, mehr Fläche zu erschließen – schließlich zählen 60 bis 65 % in unserem Land zum ländlichen Raum – und so Wohnen und Arbeiten zu trennen. Die Kehrseite ist, dass nun viele Orte zu reinen Schlafstätten werden, in denen Läden und Kneipen „dicht“ machen. Die Pendelgesellschaft stecke daher, so Knie, in einer durch die Priorisierung des Autos selbst gestellten Falle.
Corona hat Umdenken eingeleitet
Die Corona-Pandemie erforderte dann ein kurzfristiges Umdenken, mit dem Ergebnis, dass die Verkehrsleistung nur noch rund 66 % im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr betrug. Für mehr als 40 % der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze plus Freiberufler war es aufgrund der neuen Situation plötzlich möglich, zeit- und ortsflexibel zu arbeiten, sodass Knie prognostiziert, dass sich auch in Zukunft die arbeitsbedingt zurückgelegten Strecken (Pendeln, Dienstreisen) verringern werden.
Aber Corona hat auch die Zusammensetzung der gewählten Verkehrsmittel verändert: So werden mehr Wege zu Fuß zurückgelegt (ca. 30 %), auch das Fahrrad hat gewonnen (12 %), obwohl hier die Verkehrspolitik mehr symbolisch sei und sich dessen Nutzung mehr in den Kernstädten konzentriere. Der ÖPV ist von 16 % auf 8 % gesunken, sodass das Auto seinen Anteil mit rund 50 % noch einmal erhöhen konnte, was Knie natürlich bedauerte.
Das „bessere“ Auto
Knie stellte die Forderung, dass in der Klimakrise im Kampf um bessere Lebensgrundlagen alles getan werden müsse – koste es, was es wolle. Er fragte dann, ob Deutschland die Kraft hat, sich dafür aus bisherigen Denkmustern und Strukturen zu lösen. Aber auch dem Berliner Knie ist klar, dass ein Umstieg auf Bus und Bahn gerade im ländlichen Raum nicht von heute auf morgen möglich ist. Sein Credo: Die einzige Alternative zum Auto ist das „bessere“ Auto, das die maximale Flexibilität ohne ein permanentes Vorhalten eines eigenen Fahrzeugs verspricht.
Er fordert die Gesellschaft auf, zu überlegen, ob jeder ein eigenes Auto haben müsse und wie es möglich wäre, die Belegungsdichte beim Einsatz zu erhöhen. Die Digitalisierung stellt seiner Ansicht nach mithilfe des Smartphones jedem eine Privatsphäre auch im öffentlichen Raum zur Verfügung, sodass Privates, aber auch Arbeit unterwegs möglich sei. Also bräuchte niemand mehr einen eigenen Raum um sich herum, d. h. kein eigenes Auto.
Um den Privatbesitz vom Auto zu lösen, aber trotzdem mobil zu sein, propagiert er On-Demand-Shuttles, die anfangs bemannt, später autonom Fahrgäste entweder von Tür zu Tür oder zu größeren Verkehrsknotenpunkten befördern sollen. Als Beleg, dass dies funktioniert, führte er Städte in den USA und China an und berichtete von einem Pilotprojekt in Paderborn, das so ein Konzept umsetzen soll. Als Problem erkennt Knie, dass ein Akteur fehlt, der dieses Konzept umsetzen könne. Den ÖPV sieht er hier nicht, da dieser nicht unternehmerisch aufgestellt sei und nur in Fahrplänen denken könne. Auch die deutsche Autoindustrie sieht er hier nicht, da diese nicht in der Lage sei, als öffentliches Verkehrsunternehmen aufzutreten, sondern ganz auf den Verkauf von Fahrzeugen ausgerichtet sei.
Dabei seien nun auch vom Gesetzgeber die Grundlagen für die Legalisierung des autonomen Fahrens geschaffen worden, sodass mit einer Umsetzung seines Konzepts ganz neue Industrieformen, Servicekulturen und Vernetzungsstrukturen möglich seien. Nach seiner Ansicht gibt es im Land aber keinen Akteur, der dies alles umsetzen könne, Deutschland wisse nicht, wie man mit einer Trial-and-Error-Kultur umgehen müsse. Sein Fazit: Solange wir diese Konzepte nicht umsetzen können, haben wir in der Mobilität keine Zukunft und werden vom Ausland abgehängt. Wir sollten und wir können uns aber verändern. Wir werden uns weiterhin bewegen, aber weniger und anders.
Feedbackfunktion ausgiebig genutzt
Die Teilnehmer des Zukunftstages konnten im Chat Fragen und Kommentare zur Veranstaltung posten. Beim Vortrag von Prof. Knie gab es hier auch einen ersten Aktivitätshöhepunkt. Viele seiner Thesen stießen auf Widerspruch, beispielsweise bezüglich der Verfügbarkeit von Robo-Taxis im ländlichen Raum, um den Umgang mit Gemeineigentum (Beispiel E-Roller im Rhein) und zur Sicherheit für Fahrgäste in autonomen Fahrzeugen.
Ein Teilnehmer fürchtete auch, dass autokratische Strukturen erforderlich seien, um solche Konzepte durchzusetzen. Resümee des Vortrags: Wie erwartet polarisierte Knie mit seinen Thesen, stellt er die bisherige Form der Auto-Individualmobilität doch grundsätzlich infrage. Zu sehen war dies an vielen gesenkten digitalen Daumen, die der Dienstleister FeedBeat als Feedback möglich gemacht hatte.
VON BERIT FRANZ, DÜSSELDORF
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