Der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie hatte zum ersten Zukunftstag eingeladen – und in der Spitze knapp 400 Teilnehmer verfolgten eine sechsstündige Premieren-Veranstaltung, die wesentliche Themenkreise der Branche thematisierte: Mittelstand, Mobilität, Klimaschutz. Botschaft an die Branche wie auch an die Politik: Guss ist unverzichtbarer Bestandteil vieler Produkte. Die Branche arbeitet mit aktiver Unterstützung des Verbandes heute bereits zukunftsorientiert und nachhaltig – die weiteren Möglichkeiten aber muss die Politik konkreter gestalten als bislang.
Für Branche und Verband bedeutete die Veranstaltung im Düsseldorfer Haus der Gießerei-Industrie am 29. Juni eine Zeitenwende in doppelter Hinsicht. Die Themenkreise haben sich verdichtet. Der lange Primat der Corona-Krise sowie die Bundestagswahl bringen Klima- und Nachhaltigkeitsthemen mit besonderer Macht auf die Agenda. Unabhängig von der momentanen Verdichtung hat die Branche, moderiert durch den Verband, ihr Profil geschärft.
Ein Durchfliegen unter dem Radar ist keine Option, „die Branche muss sichtbarer werden“, so BDG-Hauptgeschäftsführer Max Schumacher zu Beginn des digitalen Events. Die verdichtete Selbstsicht der Gießerei-Branche: „Wir als Pioniere der Circular Economy ermöglichen die Energiewende. Wir schaffen mit Technik und Innovation die Voraussetzung für die Transformation zu einer CO2-neutralen Welt. Wir garantieren attraktive Arbeitsplätze in der Industrie, in unseren Betrieben“, wie Clemens Küpper, neu gewählter Präsident des BDG (>>zum Interview), in seiner Rede ebenso ausführte wie die drei Säulen von Nachhaltigkeit – ökonomisch, ökologisch und sozial. Küpper: „Nachhaltigkeit kann nur Sinn machen, wenn alle diese drei Säulen bedient werden. Nur eine starke Wirtschaft und eine starke Industrie können die Kraft aufbringen, die ökologischen, sozialen und natürlich die ökonomischen Ziele zu erreichen.“
Diese grundsätzlichen Überzeugungen treffen aktuell auf konkrete Themen – etwa den Wechsel von fossilen zu elektrischen Schmelzprozessen, die Entlastung des Strompreises von der EEG-Umlage, eine wirksame Carbon-Leakage-Regelung, die Verfügbarkeit von Schrott, die Regelung von Carbon Contracts for Difference, allgemein auch bürokratische Lasten und lange Genehmigungsverfahren. Schließlich auch: die Verfügbarkeit von genügend grünem Strom. Damit setzte der Präsident den Rahmen für die folgenden Diskussionen des Zukunftstages.
Erste Antwort der Politik auf die Fragen war der Vortrag von Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der den bevorstehenden Strukturwandel mit den Säulen Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie beschrieb und für enge Zusammenarbeit warb: „Machen Sie uns Politiker schlau mit ihrer Sachkenntnis.“ In der Diskussion zwischen Fricke, Küpper und Moderatorin Judith Schulte-Loh im Anschluss folgte ein Beispiel: Wegen der EEG-Umlage fallen Millionenkosten an. Kosten, die ausländische Gießereien nicht haben - ein offensichtliches Ungleichgewicht, wie Küpper betonte. „Bei einer grünen Wirtschaft muss der Industriestrompreis sinken“, stimmte ihm Fricke zu.
Beim Thema Mobilität hatte der BDG mit Prof. Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität“ am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), bewusst auf einen Redner mit disruptiven Ideen gesetzt. „Die Alternative zum Auto kann nur das bessere Auto sein“, betonte er und meint damit seinen Fokus auf autonom fahrende Shuttles mit der Abkehr vom bisherigen Individualverkehr. Eine These mit kontroversem Potenzial. Viele Zuschauer, symbolisiert durch Avatare auf dem Anzeigenboard, kommentierten mittels gesenktem Daumen.
Den Kernteil des Zukunftstags leitete die NRW-Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Mona Neubaur ein. Sie würdigte Guss als Stützpfeiler der Windenergie sowie die Bemühungen der Branche bei der Emissionsreduzierung und sicherte günstigeren Strom im Gegenzug für den klimafreundlichen Gießereiumbau zu. Die Diskussionsrunde mit Neubaur, Lukas Maggioni, Fridays for Future, Holger Lösch, Stv. Hauptgeschäftsführer BDI, sowie den Gießern Dr. Christiane Heunisch-Grotz und Dr. Ludger Ohm folgte ihrer Rede.
Dr. Heunisch-Grotz rechnete den hohen Investitionsbedarf für den Austausch ihres Kupolofens vor und kritisierte lange Genehmigungsverfahren und den zögerlichen Ausbau der erneuerbaren Strominfrastruktur. Dr. Ohm stellte den massiv gestiegenen Energiekosten die niedrige Gewinnmarge in der Branche entgegen. „Unsere 2008 gebaute Gießerei haben wir schon zwei Mal bezahlt“, betonte er. Einig waren sich die Gießer mit Neubaur und Maggioni, dass es beim Weg in die Klimaneutralität nicht mehr um das „ob“, sondern nur noch um das „wie“ geht. „Eine neue Regierung muss die Trasse anpacken“, so Dr. Ohm mit Blick auf Bundestagswahl und verfügbaren grünen Strom.
Prof. Wolfram Volk, TU München, präsentierte abschließend das Projekt Windmelt. Schmelzen an Windrädern sollen mit Energieüberschüssen schmelzen und Flüssigmetall an Gießereien verteilen. Ein positives Resümee zum Zukunftstag zog Schumacher. „Insgesamt war der Tag ein voller Erfolg. Wir haben viele interessante Gespräche geführt und neue Impulse erhalten, die es jetzt weiterzuverfolgen gilt. Nur gemeinsam kann die Gießerei-Industrie in Deutschland weiterhin ökologische, ökonomische und soziale Verantwortung übernehmen und Zukunft formen.“